Leitsatz (amtlich)

Setzt die unverheiratete, kinderlose Erblasserin in einem notariellen Testament (1997) ihre Nichte und ihren Neffen (Kinder ihrer Halbschwester) zu gleichen Teilen als Miterben ein (§ 1), trifft Grabpflegeanordnungen (§ 2) und erklärt, weiter habe sie nichts zu bestimmen (§ 3), so ergibt die Auslegung mangels Anwendbarkeit der Zweifelsregel des § 2069 BGB sowie entsprechender Anhaltspunkte nicht, dass die Erblasserin ihren Neffen "als Ersten seines Stammes" und demnach bei seinem "Ausfall" dessen Kinder als Ersatzerben berufen wollte, sondern eine erstrebte Alleinerbenstellung der Nichte infolge Anwachsung (§ 2094 Abs. 1 Satz 1 BGB).

 

Normenkette

BGB §§ 133, 242, 2069, 2094 Abs. 1 S. 1, Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG Wesel (Aktenzeichen 16 VI 514/20)

 

Tenor

Das Rechtsmittel wird auf Kosten der Beteiligten zu 2. zurückgewiesen.

Geschäftswert: bis 45.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Erblasserin war unverheiratet und ohne Abkömmlinge. Sie hatte eine ältere Halbschwester, die zwei Kinder hatte: die Beteiligte zu 1. sowie einen 2011 verstorbenen Sohn Erwin, die Beteiligte zu 2. ist eine von dessen zwei Töchtern.

Am 1. Juli 1997 errichtete die Erblasserin ein notarielles Testament. In ihm setzte sie zu § 1 ihre Nichte: die Beteiligte zu 1. und ihren Neffen Erwin zu gleichen Teilen als Miterben ein; nachdem in § 2 einzig Grabpflegeanordnungen getroffen worden waren, hieß es unter § 3, weiter habe die Erblasserin nichts zu bestimmen.

Die Beteiligte zu 1. betrachtet sich nach dem Vorversterben des Neffen Erwin als Alleinerbin nach der Erblasserin und hat einen unter dem 31. Juli 2019 beurkundeten dahingehenden Erbscheinsantrag gestellt, die Beteiligte zu 2. meint, für den Neffen seien nunmehr dessen Abkömmlinge zu Miterben berufen, und tritt dem Antrag entgegen.

Durch die angefochtene Entscheidung hat das Amtsgericht den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. für gerechtfertigt erachtet. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 2. mit ihrem am 25. Juni 2020 bei Gericht eingegangen Rechtmittel.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Nachlassakte und der Testamentsakte 16 IV 346/97 AG Wesel Bezug genommen.

II. Das Rechtsmittel der Beteiligten zu 2. ist infolge der mit weiterem Beschluss des Nachlassgerichts vom 9. Juli 2020 erklärten Nichtabhilfe dem Senat zur Entscheidung angefallen, § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. FamFG. Es ist als befristete Beschwerde statthaft und insgesamt zulässig, §§ 58 Abs. 1 i.V.m. 352e Abs. 1 Satz 2, 59 Abs. 1, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG. In der Sache erweist es sich jedoch auch unter Berücksichtigung des Rechtsmittelvorbringens als unbegründet; zu Recht möchte das Nachlassgericht dem Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. entsprechen, weil sie Alleinerbin nach der Erblasserin geworden ist.

Die Ausgangspunkte sind zwischen den Beteiligten als solche nicht umstritten: Dem besagten Antrag wäre - nur - dann der Erfolg zu versagen, wenn die Beteiligte zu 2. und deren Schwester als Großnichten nach dem Vorversterben ihres Vaters, des Neffen der Erblasserin, statt seiner zu Miterbinnen berufen wären, also die Erblasserin die Anwachsung nach § 2094 Abs. 3 BGB ausgeschlossen hätte. Da hierbei die Zweifelsregel des § 2069 BGB weder unmittelbar noch entsprechend eingreift, weil es sich bei den im Testament bedachten Erben nicht um Abkömmlinge der Erblasserin handelte, kommt es darauf an, ob sich nach allgemeinen erbrechtlichen Auslegungsregeln ein Wille der Erblasserin zum "Nachrücken" der Kinder des Neffen feststellen lässt. Das wiederum hängt nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen davon ab, ob der Neffe von der Erblasserin um seiner Person willen oder als Erster seines Stammes berufen wurde; falls sich letzteres ergäbe, erwüchse aus dem sogenannten Andeutungserfordernis keine zusätzliche Auslegungshürde, denn in diesem Fall könnte man in der Benennung des Erben selbst die notwendige Andeutung sehen. Indes kann sich, ungeachtet der von der Beteiligten zu 2. unterbreiteten Ermittlungsangebote, auch der Senat nicht davon überzeugen, die Erblasserin habe ihren Neffen Erwin als Ersten seines Stammes berufen wollen.

Dagegen spricht bereits, dass, hätte die Erblasserin einen Stamm berufen wollen, dies derjenige ihrer Halbschwester gewesen wäre; denn dieser war sie, dem eigenen Vorbringen der Beteiligten zu 2. zufolge, wegen ihr (der Erblasserin) gewährter finanzieller Hilfen zu Dank verpflichtet, wohingegen zu ihren übrigen Geschwistern kein Kontakt bestand. Gerade bei einer Vorstellung der Testierenden von einer Berufung dem Stamme nach wäre eine Benennung der Schwester auch problemlos möglich gewesen: Mochte wegen des Unterschieds im Lebensalter auch der Fall wahrscheinlich sein, dass die "Erstberufene" vorverstürbe, träte dann eben das ein, was von der Testierenden beabsichtigt gewesen wäre, nämlich ein Nachrücken ihrer Abkömmlinge, zunächst der ersten Generation, der Nichte und Neffe angehörten, sodann der folgenden Generation, daru...

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