Anfechtung der Ausschlagung bei Irrtum über den Begünstigten?
In seiner Entscheidung hat sich das OLG Hamm ausführlich mit den Voraussetzungen der Irrtumsanfechtung einer Erbschaftsausschlagung auseinandergesetzt. Das Gericht hat dem Sohn eines Erblassers das Recht zur Anfechtung seiner Ausschlagungserklärung wegen Irrtums über die durch die Ausschlagung begünstigte Person verwehrt.
Ausschlagung der Erbschaft durch die Kinder
In dem vom OLG entschiedenen Fall war der Erblasser ohne vorherige Errichtung einer letztwilligen Verfügung verstorben. Sämtliche Kinder schlugen die Erbschaft aus in der Erwartung, die Witwe des Erblassers würde hierdurch zur Alleinerbin (sog. lenkende Ausschlagung). Den Kindern war zum Zeitpunkt der Ausschlagung nicht bekannt, dass der Erblasser weitere Abkömmlinge hatte.
Anfechtung der Erbschaftsausschlagung wegen Erklärungsirrtums
Dem Antrag der Witwe des Erblassers auf Ausstellung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin auswies, entsprach das Nachlassgericht nicht. Das Nachlassgericht forderte ergänzende Angaben u.a. zu möglichen weiteren Geschwistern. Mehrere Halbgeschwister sowie eine Vollschwester waren zur Überraschung der Ausschlagenden tatsächlich vorhanden. Hierauf erklärte ein Sohn des Erblassers gegenüber dem Nachlassgericht schriftlich die Anfechtung seiner Ausschlagungserklärung mit der Begründung, er habe zum Zeitpunkt der Ausschlagung keine Kenntnis von weiteren (Halb-)Geschwistern gehabt.
Nachlassgericht verneint Wirksamkeit der Anfechtungserklärung
Die Witwe des Erblassers modifizierte daraufhin beim Nachlassgericht ihren Antrag und forderte nun einen Erbschein, der sie gemeinsam mit dem Sohn des Erblassers als Miterben zu je 1/2 ausweisen sollte. Das Nachlassgericht wies den Antrag ab mit der Begründung, der Sohn des Erblassers habe seine Ausschlagungserklärung nicht wirksam angefochten. Er habe sich bei Abgabe der Ausschlagungserklärung im Irrtum über die durch die Ausschlagung begünstigte Person befunden. Dies sei ein unbeachtlicher Motivirrtum, der die Ausschlagung nicht mehr ungeschehen machen könne.
Erbschaft wirksam ausgeschlagen
Das in der Beschwerdeinstanz zuständige OLG teilte im Ergebnis die Auffassung des Nachlassgerichts. Die Erklärung der Ausschlagung der Erbschaft war nach der Beurteilung des Senats gemäß §§ 1954, 1955, 1945 BGB wirksam, da sie nach dem Eintritt des Erbfalls innerhalb von 6 Wochen in öffentlich beglaubigter Form beim Nachlassgericht eingegangen war. Ihre Wirkung, nämlich der rückwirkende Ausschluss des Sohnes von der Erbfolge, sei durch die Anfechtung nicht beseitigt worden.
Keine wirksame Anfechtung
Ein für eine wirksame Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB erforderlicher Erklärungsirrtum ließ sich nach Auffassung des Senats nicht feststellen. Der Beschwerdeführer habe sich über die Rechtsfolgen seiner Erklärung geirrt, da er angenommen haben, dass die Erbschaft infolge einer Ausschlagung durch sämtliche Abkömmlinge dem Erbe der Witwe des Erblassers anwachse. Diese Rechtsfolge sei nicht eingetreten, weil gemäß § 1953 Abs. 2 BGB Erben 2. Ordnung in die Erbfolge eingetreten seien. Damit handle es sich bei der irrigen Vorstellung des Beschwerdeführers nicht um einen Irrtum über den Inhalt seiner Erklärung, sondern um den klassischen Fall eines Rechtsirrtums, der in der Rechtsprechung regelmäßig als unbeachtlicher Motivirrtum bewertet werde (BGH, Beschluss v. 5.7.2006, IV ZB 39/05).
Ausschlagungserklärung ohne Anhalt für subjektive Fehlvorstellung
Das OLG ging in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung einiger Obergerichte ein, wonach ein solcher Rechtsirrtum eine Irrtumsanfechtung dann rechtfertigen kann, wenn der Ausschlagende die irrige Vorstellung hatte, bei der Ausschlagung handle es sich um eine von seinem Willen abhängige Übertragung seines Erbteils auf einen anderen Erben (so OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8.1.1997, 3 Wx 575/95). Eine solche Annahme scheidet nach Auffassung des Senats im konkreten Fall aber schon deshalb aus, weil der Beschwerdeführer die Ausschlagung pauschal und ohne jeden textlichen Anhaltspunkt für das Vorhandensein einer solchen subjektiven Fehlvorstellung erklärt hatte.
Irrtum bezog sich lediglich auf eine sekundäre Rechtsfolge der Ausschlagung
Für dieses Ergebnis spricht nach Auffassung des Senats auch, dass die unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung, nämlich der Verlust der Erbenstellung des Ausschlagenden, auch tatsächlich eingetreten ist. Der Irrtum des Beschwerdeführers bezog sich nach der Bewertung des OLG erst auf die sekundäre Rechtsfolge, nämlich die nach seiner Vorstellung beabsichtigte Anwachsung seines Erbteils an den Erbteil der Witwe des Erblassers. Ein Irrtum über sekundäre Rechtsfolgen sei auch nach der Rechtsprechung des BGH ein nicht zur Anfechtung berechtigender unbeachtlicher Motivirrtum (BGH, Beschluss v. 29.6.2016, IV 387/15).
Divergierende Auffassungen anderer Obergerichte
Die von dieser Rechtsauslegung abweichende Rechtsprechung einiger Obergerichte (OLG Frankfurt, Beschluss v. 4.5.2017, 20 W 197/16 u. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 21.9.2017, 3 Wx 166/17) läuft nach Auffassung des Senats Gefahr, das Institut der Irrtumsanfechtung gemäß § 119 BGB zulasten der Sicherheit des Rechtsverkehrs unverhältnismäßig auszuweiten. Der Rechtsverkehr habe ein Interesse an einer verlässlichen, überprüfbaren und zeitnahen Klärung der Erbfolge. Ein ausuferndes Anfechtungsrecht stehe der Rechtssicherheit entgegen.
Beschwerde zurückgewiesen
Im Ergebnis bestätigte das OLG damit die Rechtsauffassung des Nachlassgerichts, wonach der Beschwerdeführer sich in einem unbeachtlichen Motivirrtum befand, der kein Anfechtungsrecht begründet. Der Beschwerde gegen die Ablehnung der beantragten Erbscheinerteilung durch das Nachlassgericht blieb damit der Erfolg versagt.
(OLG Hamm, Beschluss v. 21.4.2022, 15 W 51/19)
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