Irrtumsanfechtung einer Erbausschlagung

Die Anfechtung einer Ausschlagungserklärung wegen irriger Annahme einer Überschuldung des Nachlasses ist möglich, wenn die Erbin unrichtige Vorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses hatte.

Wer eine Erbschaft ausschlägt, weil er den Nachlass für überschuldet hält, sollte dies nicht ohne ausreichende Information über den tatsächlichen Bestand des Nachlasses tun. Die Anfechtung einer einmal abgegebenen Ausschlagungserklärung wegen Irrtums ist nur bei einer Fehlvorstellung über den konkreten Bestand der Nachlassgegenstände möglich, nicht aber bei einer Fehlvorstellung über den Wert des Nachlasses.

Erbschaft erst ausgeschlagen, dann Erbschein beantragt

In dem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall hatte die Tochter nach dem Tod ihrer Mutter die Erbschaft ausgeschlagen. Etwa neun Monate später beantragte sie beim Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. Zur Begründung führte sie aus, dass sie bei ihrer Ausschlagungserklärung irrtümlich von einer Überschuldung des Nachlasses ausgegangen sei.

Fehlvorstellung über Überschuldung des Nachlasses

Die Antragstellerin begründete ihre irrige Vorstellung von der Überschuldung des Nachlasses damit, dass sie seit ihrem elften Lebensjahr keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter gehabt habe. Aufgrund einer schweren Alkoholkrankheit ihrer Mutter sei sie in einer anderen Familie aufgewachsen. Über den Tod ihrer Mutter sei sie von einer Kriminalbeamtin informiert worden. Diese habe ihr den chaotischen und verwahrlosten Zustand der Wohnung ihrer Mutter im Bahnhofsviertel geschildert. Deshalb habe sie sich die Wohnung nicht angesehen. Sie sei davon ausgegangen, dass ihre Mutter völlig auf die schiefe Bahn geraten sei und mittellos in einem sozialen Brennpunkt lebe.

Trotz Alkoholsucht: Nachlass mit erheblichem Kontoguthaben

Etwa 9 Monate nach dem Tod der Mutter erhielt die Tochter Post vom Nachlasspfleger. Aus diesem ging hervor, dass die Mutter über ein Kontoguthaben in fünfstelliger Höhe verfügte. Nach Erhalt dieser Information erklärte die Tochter innerhalb der Sechswochenfrist des § 1954 BGB die Anfechtung der von ihr abgegebenen Ausschlagungserklärung wegen Irrtums über den Bestand des Nachlasses und beantragte beim Nachlassgericht die Erteilung eines auf sie lautenden Erbscheins. Das Nachlassgericht hielt die Anfechtung der Erbausschlagung für unwirksam und wies den Erbscheinsantrag zurück.

Ausschlagungserklärung kann wegen Irrtums angefochten werden

Die Beschwerde der Tochter gegen den Zurückweisungsbeschluss hatte vor dem OLG Erfolg. Das OLG vertrat die Auffassung, dass die Ausschlagung einer Erbschaft wegen eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses grundsätzlich anfechtbar sei. Voraussetzung: Der Eigenschaftsirrtum war kausal für die Ausschlagungserklärung.

Keine Irrtumsanfechtung bei Fehlvorstellung vom Nachlasswert

Das OLG betonte, dass nicht jeder Irrtum über den Nachlass zur Anfechtung einer einmal abgegebenen Ausschlagungserklärung berechtige. Insbesondere berechtige ein bloßer Irrtum über den Wert des Nachlasses nicht zur Irrtumsanfechtung. Die Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB setze eine Diskrepanz zwischen der Vorstellung des Anfechtenden und den tatsächlichen Verhältnissen voraus. Zudem müsse der Erbe naheliegende Erkenntnismöglichkeiten über die Zusammensetzung des Nachlasses genutzt haben, um sich Kenntnis vom Bestand des Nachlasses zu verschaffen. Erkläre ein Erbe die Ausschlagung allein aufgrund spekulativer Vermutungen über die Zusammensetzung des Nachlasses, berechtige eine daraus resultierende Fehlvorstellung nicht zur Irrtumsanfechtung. Es handele sich in diesem Fall lediglich um einen für die Anfechtung unbeachtlichen Motivirrtum (OLG Düsseldorf, Beschluss v.  9.12.2020, 3 Wx 13720).

Fehlvorstellung über Kontoguthaben betrifft verkehrswesentliche Eigenschaft

Im konkreten Fall hatte die Beschwerdeführerin Glück. Der Senat kam zu dem Ergebnis, dass die Tochter die Ausschlagung aufgrund eines Irrtums über wertbildende Faktoren des Nachlasses erklärt und sich damit über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses geirrt habe. Diese Beurteilung ergebe sich vor allem aus der Fehlvorstellung der Beschwerdeführerin über das Vorhandensein von Kontoguthaben. Diese Fehlvorstellung sei kausal für die Ausschlagungserklärung gewesen.

Ausschlagung war nicht Folge bloßer Vermutungen

Kritisch für die Beschwerdeführerin war auch, dass sie die bestehenden Möglichkeiten zur Ermittlung des Nachlassbestandes – etwa durch einen Besuch bei ihrer verstorbenen Mutter – nicht wirklich ausgeschöpft hatte. Bei der hierzu vom Senat durchgeführten persönlichen Anhörung der Tochter gelangte das Gericht zu der Überzeugung, dass die Ausschlagungserklärung auf einer konkreten Fehlvorstellung und nicht auf einer bloßen Vermutung beruhte.

Nachlassgericht muss Erbschein erteilen

Im Ergebnis war daher die erklärte Anfechtung der Ausschlagung wirksam. Die Beschwerdeführerin konnte das Erbe antreten.

(OLG Frankfurt, Beschluss v. 24.7.2024, 21 W 146/23)


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