Krankenhaus muss Behandlungsakte an Gericht herausgeben
Das OLG Hamm hat die Ärzte eines Krankenhauses verpflichtet, die eine verstorbene Erblasserin betreffenden Behandlungsunterlagen an einen Gutachter zur Klärung der Frage, ob die Erblasserin während ihrer Behandlung im Krankenhaus noch testierfähig war, herauszugeben.
Erblasserin änderte auf dem Sterbebett ihr Testament
Hintergrund der vom OLG im Rahmen eines Erbrechtsstreits erlassenen Zwischenverfügung war eine während einer Krankenhausbehandlung der Erblasserin von dieser vorgenommenen Änderung ihres ursprünglichen Testaments. In einem früheren Testament hatte die Erblasserin ihre Schwester zur Alleinerbin bestimmt. Kurz vor ihrem Tod befand sich die Erblasserin wegen einer lebensbedrohlichen Entzündung der Bauchspeicheldrüse auf der Intensivstation eines Krankenhauses und änderte dort ihr Testament.
Nachlassgericht lehnte Erbscheinantrag der Schwester ab
Statt ihrer Schwester setzte sie nun ihre beiden Kinder und ihre Nichte als Erben ein. Die Schwester beantragte einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. Begründung: zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments kurz vor ihrem Tod im Krankenhaus sei die Erblasserin nicht mehr testierfähig gewesen. Das Nachlassgericht hat die Erteilung des Erbscheins unter Hinweis auf das im Krankenhaus errichtete 2. Testament ohne Einschaltung eines Gutachters abgelehnt. Der bei der Errichtung des 2. Testaments hinzugezogene Notar habe keine Zweifel an der Testierfähigkeit der Erblasserin gehabt.
Schwester der Erblasserin legte Beschwerde ein
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde der Schwester gegen den ablehnenden Beschluss nicht abgeholfen und die Beschwerde dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Der im Beschwerdeverfahren getroffenen Anordnung des OLG zur Vorlage der Krankenunterlagen der Erblasserin kam das behandelnde Krankenhaus nicht nach und wies auf die fehlende Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht hin. Die im 2. Testament benannten Erben stimmten einer Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nicht zu.
Schweigepflicht ist als höchstpersönliches Recht nicht vererblich
Hierauf hat das OLG eine Zwischenverfügung erlassen und dort ausgeführt, dass kein Zeugnisverweigerungsrecht des Krankenhausträgers besteht. Zwar begründe die ärztliche Schweigepflicht grundsätzlich ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht der behandelnden Ärzte gemäß § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Die Schweigepflicht als höchstpersönliches Rechtsgut sei jedoch nicht vererblich (OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 9.12.2004, 4 W 43/04). Aus diesem Grunde könnten die Erben über die ärztliche Schweigepflicht im Verhältnis zur Erblasserin nicht entscheiden. Eine Schweigepflicht bestehe nach dem Tod nicht mehr. Anders läge der Fall nur, wenn die Erblasserin zu Lebzeiten verfügt hätte, dass die ärztliche Schweigepflicht über ihren Tod hinaus gelten solle.
Zweifel auch an der Geschäftsfähigkeit
Etwas anderes folgt nach Auffassung des OLG auch nicht aus einer über den Tod hinausgehenden Vollmacht und Patientenverfügung der Erblasserin zugunsten eines ihrer Kinder und ihrer Nichte. Diese Vollmacht stamme vom gleichen Tag wie das 2. Testament. Da die Testierfähigkeit der Erblasserin zu diesem Zeitpunkt im Streit stehe, stehe auch die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin hinsichtlich der Erteilung der Vollmacht im Streit. Umstände, wonach die Geschäftsfähigkeit zu diesem Zeitpunkt anders als die Testierfähigkeit zu beurteilen sei, seien nicht ersichtlich. Daher seien die im 2. Testament genannten Erben auch auf der Grundlage der Patientenverfügung nicht berechtigt, die Schweigeverpflichtung des Krankenhauses über den Tod der Erblasserin hinaus zu perpetuieren.
Wille des Erblassers entscheidet über Schweigepflicht
Für die Frage, ob und wie weit ein Arzt an seine ursprünglich bestehende Schweigepflicht nach dem Tod des Patienten gebunden ist, kommt es nach Auffassung des Senats daher allein auf den erklärten oder den mutmaßlichen Willen der Erblasserin an (BGH, Beschluss v. 4.7.1984, IVa ZB 18/8391). Habe der Erblasser sich nicht ausdrücklich geäußert, müsse sein mutmaßlicher Wille ermittelt werden.
Eigeninteresse des Erblassers an der Klärung seiner Testierfähigkeit
Bei Ermittlung des mutmaßlichen Willens sei in der Regel davon auszugehen, dass die Klärung von Zweifeln an der Testierfähigkeit im wohlverstandenen Interesse eines Erblassers liegt. Die Errichtung eines Testaments deute regelmäßig auf den Willen des Erblassers hin, seinen letzten Willen mit Hilfe des Testaments zu verwirklichen. Die Ermittlung des wirklichen letzten Willens liege also im Interesse des Erblassers.
Verschwiegenheitspflicht hinderlich für Ermittlung des Erblasserwillens
Die Annahme einer ärztlichen Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich der Umstände, die für die Ermittlung des tatsächlichen letzten Willens des Erblassers oder einer Erblasserin maßgeblich sind, wäre nach Auffassung des OLG für die Ermittlung des wirklichen Willens hinderlich und deshalb grundsätzlich nicht anzunehmen (BayObLG, Beschluss v. 31.8.1990, BReg.1a Z 60/89).
Krankenhaus muss Patientenakten herausgeben
Mit diesen Argumenten hat das OLG den Krankenhausträger verpflichtet, die maßgeblichen Krankenunterlagen an den vom Senat bestellten Gutachter - gegebenenfalls in elektronischer Form - zu übersenden.
(OLG Hamm, Beschluss v. 13.6.2024,10 W 3/23)
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