Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrsunfall: Anscheinsbeweis zu Lasten des Auffahrenden
Leitsatz (amtlich)
Steht fest, dass der Auffahrende gegen § 4 Abs. 3 StVO verstoßen hat, bedarf es keines Rückgriffs mehr auf den gegen den Auffahrenden sprechenden Anscheinsbeweis
Normenkette
StVO § 4 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 02.06.2020; Aktenzeichen 2-12 O 49/19) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. Juni 2020 - AZ 2/12 O 49/19 - dahingehend abgeändert, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, an die Klägerin über den bereits erstinstanzlich ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 1.538,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 24. November 2018 sowie weitere außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 182,07 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 7. März 2019 zu zahlen.
Im Übrigen werden die weitergehende Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz haben die Klägerin zwei Drittel und die Beklagten als Gesamtschuldner ein Drittel zu tragen.
Das Urteil und - im Umfang der Zurückweisung der Berufung - auch das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall am XX.XX.2017 auf der Bundesautobahn A... in Richtung Stadt1/Stadt2 zwischen der Anschlussstelle Stadt3-Stadtteil1 und dem Westkreuz Stadt3 geltend. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Das Landgericht hat ausgehend von einer Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Klägerin der Klage in Höhe von 1.538,39 Euro sowie vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 291,55 Euro stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, das Unfallereignis habe nicht auf höherer Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG beruht. Ebenso wenig lasse sich feststellen, dass ein Fall des § 17 Abs. 3 StVG vorliege. Hinsichtlich des klägerischen Fahrzeugs beruhe der Unfall jedenfalls auch auf einem Versagen des Fahrassistenten, damit auf einem Versagen von Vorrichtungen des klägerischen Fahrzeugs und unterfalle damit nicht § 17 Abs. 3 StVG. Anstelle der Klägerin hätte ein Idealfahrer zudem versucht, den Verkehr hinter sich zu beobachten, sich rechts in Richtung Standstreifen einzuordnen, um dort zum Stehen zu kommen oder zumindest durch rasche Betätigung des Warnblinkers auf die Gefahrensituation aufmerksam zu machen. Weiter hätte ein Idealfahrer anstelle des Beklagten schneller auf den Bremsvorgang des klägerischen Fahrzeugs reagiert und/oder einen größeren Sicherheitsabstand eingehalten und so den Unfall vermieden.
Gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG hänge der Umfang der Haftung demnach von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere davon, inwieweit der Unfall vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei. Bei der nach diesen Maßstäben gebotenen Abwägung würden die Verursachungsanteile auf Seiten der Klägerin in einer Weise überwiegen, dass lediglich von einer Haftung zu 1/3 der Beklagten und zu 2/3 der Klägerin für die durch das Unfallereignis verursachten Schäden auszugehen sei.
Zwar spreche gegen die Beklagten der Anscheinsbeweis eines Auffahrenden. Für die Annahme des Anscheinsbeweises genüge es, dass sich beide Fahrzeuge im gleichgerichteten Verkehr bewegt hätten und zumindest eine teilweise Überdeckung der Schäden an Front und Heck vorliege. In einer solchen Situation spreche der erste Anschein dafür, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht habe, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten habe, unaufmerksam oder aber mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren sei. Denn der Kraftfahrer sei verpflichtet, seine Fahrweise so einzurichten, dass er notfalls rechtzeitig anhalten könne, wenn ein Hindernis auf der Fahrbahn auftauche.
Vorliegend sei der Anscheinsbeweis durch den unstreitigen Vortrag dahingehend erschüttert, dass das klägerische Fahrzeug aufgrund eines fehlerhaften Einsatzes des Collision Prevention Assist bis zum vollständigen Stillstand ohne verkehrsbedingten Anlass abgebremst und damit eine ganz erhebliche Gefahr im Straßenverkehr und damit verbunden einen überwiegenden Verursachungsbeitrag geschaffen habe.
Auf Autobahnen werde, sofern kein Stau, dichter oder gar stockender Verkehr herrsche, regelmäßig zügig mit Geschwindigkeiten von mindestens 100 km/h gefahren. Der fließende Verkehr rechne bei freier Strecke und mäßiger Verkehrsdichte nicht mit derart verlangsamten Fah...