OLG Celle: Haftung von Motorradfahrer bei berührungslosem Unfall

Bei Auffahrunfällen hat der Auffahrende meist schlechte Karten. Das gilt selbst bei kontaktlosen Unfällen wie im vorliegenden Fall, in dem ein Motorradfahrer eine Vollbremsung hinlegte, um eine Kollision zu vermeiden, und dabei stürzte.

Der Kläger fuhr mit seinem Motorrad auf der Landstraße hinter einem Pkw her. Auf der Gegenfahrbahn scherte plötzlich der beklagte Mercedesfahrer aus, der versuchte, an einem Müllwagen vorbeizufahren, der gerade mit Gelben Säcken beladen wurde.

Das Auto, das vor dem Motorradfahrer fuhr, bremste stark ab, um eine Kollision zu vermeiden. Der Motorradfahrer musste eine Vollbremsung hinlegen, die dazu führte, dass er ins Rutschen kam und stürzte. Durch den Sturz erlitt er eine Schulterblattfraktur, eine Lungenkontusion sowie eine Schürfwunde und war fast 8 Wochen arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Haftpflichtversicherung des entgegenkommenden Fahrzeugs lehnte jegliche Haftung ab

Von der Haftpflichtversicherung des Mercedesfahrers verlangte der Motorradfahrer, die Haftung aus dem Unfall vollständig anzuerkennen. Doch die Versicherung lehnte jegliche Haftung ab.

Das OLG Celle hat entschieden, dass die Haftungsquote beim Beklagten Mercedesfahrer bei 40 Prozent liegt. Der habe durch das Vorbeifahren an dem Müllwagen und dem Einfahren auf die Gegenfahrbahn einen schuldhaften Verursachungsbeitrag gesetzt. Ohne diese Aktion wäre es nicht zur Vollbremsung und dem Sturz des Motorradfahrers gekommen. Die Beklagte habe gegen die Sorgfaltspflichten des § 6 Satz 1 StVO verstoßen, so das Gericht.

Gestürzter Motorradfahrer haftet zu 60 Prozent

Warum der klagende Motorradfahrer zu 60 Prozent haftet, begründete das Gericht wie folgt: Gegen ihn spreche ein Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Unfallverursachung, auch wenn eine Kollision der Fahrzeuge ausblieb. Nach Auffassung des Gerichts gelten die Grundsätze des Anscheinsbeweises bei Auffahrunfällen auch für den hier vorliegenden Fall, in dem es wegen des Sturzes des klagenden Motorradfahrers nicht mehr zur Kollision mit dem vor ihm fahrenden Fahrzeug gekommen ist.

Was für die Haftung des Auffahrenden bei einem Unfall spricht

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei Auffahrunfällen der erste Anschein dafürsprechen kann, dass der Auffahrende den Unfall dadurch verursacht hat, dass

  • er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO),
  • er unaufmerksam war (§ 1 StVO)
  • oder er mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist (§ 3 Abs. 1 StVO).

Denn ein Kraftfahrer ist verpflichtet, seine Fahrweise so einzurichten, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann, wenn ein Hindernis auf der Fahrbahn auftaucht (u. a. BGH, Urteil v. 13.12.2016, VI ZR 32/16).

OLG: Motorradfahrer hätte rechtzeitig bremsen und so den Unfall vermeiden können

Entgegen der Auffassung des Klägers hielt das Gericht eine überwiegende Haftung des Beklagten für nicht gerechtfertigt. Schließlich habe das vor dem Motorrad fahrende Auto noch rechtzeitig bremsen können, ohne dass es zu einer Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug kam. Dies mag auf Unaufmerksamkeit oder einen unzureichenden Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug zurückzuführen sein, so das OLG.

(OLG Celle, Urteil v. 13.12.2023, 14 U 32/23)