Erleichterte Darlegungslast beim Schadenersatz
In einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung hat der BGH die Anforderungen an die Darlegungslast des Geschädigten nach einem Unfallereignis präzisiert. Danach dürfen keine überzogenen Anforderungen an die Darlegung der Einzelschäden und der im einzelnen erforderlichen Reparaturmaßnahmen gestellt werden. Der Geschädigte muss auch kein Privatgutachten vorlegen, sondern kann gegebenenfalls beantragen, die Details durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen klären zu lassen.
Seitliches Touchieren beim Einfädeln in die Fahrspur
Im konkreten Fall war der Kläger mit einem Mercedes-Benz E63 AMG auf dem rechten Fahrstreifen einer Bundesstraße unterwegs. Der beklagte Halter und Fahrer eines Mercedes-Benz Sprinter wollte aus einer - wegen einer Baustelle verkürzten - Auffahrt auf die vom Kläger benutzte Fahrspur wechseln und hatte dabei nach Darstellung des Klägers dessen in gleicher Höhe befindliches Fahrzeug nicht beachtet. Hierzu kam es zu einem seitlichen Touchieren der beiden Fahrzeuge.
Schadenersatzklage in den Vorinstanzen abgewiesen
Der Kläger hat nach dem Unfallereignis ein privates Sachverständigengutachten eingeholt und darauf seine Klage auf Ersatz des an seinem Fahrzeug entstandenen Schadens gestützt. Der daneben vom erstinstanzlichen Gericht beauftragte Sachverständige hatte sowohl mit dem Unfallereignis kompatible als auch mit dem Unfall nicht kompatible Schäden festgestellt. Die Vorinstanzen hatten die Schadenersatzklage des Klägers mit der Begründung abgewiesen, der Kläger hätte angesichts der entstandenen Unklarheiten darlegen müssen, welche Schäden von dem Unfallereignis herrührten und welche nicht. Dies habe er nicht getan und damit seiner Darlegungspflicht nicht genügt.
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt
Die gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hatte beim BGH Erfolg. Nach der Entscheidung des BGH hat das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Das Prozessgrundrecht auf rechtliches Gehör gebiete es, die wesentlichen Verfahrensgrundsätze der ZPO zu beachten und verfahrenserhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen. Bereits in der Nichtberücksichtigung eines Beweisangebots könne eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegen, wenn das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Sachvortrag der darlegungsbelasteten Partei stellt (BGH, Beschluss v. 6.6.2023, VI ZR 197/21).
Kläger hat seiner Darlegungslast genügt
Im konkreten Fall habe der erstinstanzlich bestellte gerichtliche Sachverständige Feststellungen zur Kompatibilität der Einzelschäden mit dem Unfallereignis getroffen. Darüber hinaus seien zur Art und zum Umfang der an seinem Fahrzeug entstandenen Beschädigungen keine weiteren Darlegungen des Klägers erforderlich. Es sei auch nicht ersichtlich, welche sachdienlichen Ausführungen der Kläger über das vorliegende Gutachten hinaus zur Abgrenzbarkeit der vom Unfall herrührenden Schäden von anderen Schäden noch machen sollte. Außerdem habe der Kläger in einer Stellungnahme zum gerichtlichen Gutachten seine Sicht der Dinge nochmals dargelegt. Mehr an Darlegung könne nicht verlangt werden. Im Ergebnis habe das Gericht die Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers überspannt.
Überdehnung der Darlegungslast in zweifacher Weise
Der Senat rügte die Missachtung wesentlicher verfahrensrechtlicher Grundsätze durch die Vorinstanz in einem weiteren Punkt. Das Berufungsgericht hatte moniert, der Kläger habe nicht dargelegt, welche Reparaturmaßnahmen und damit verbundene Kosten für Arbeitsleistung und Ersatzteile zur Beseitigung der einzelnen Schäden aufgewendet werden müssten. Auch hierin liege eine Überspannung der Darlegungslast.
§ 287 ZPO enthält eine Darlegungs- und Beweiserleichterung
Die Vordergerichte hatten nach Auffassung des BGH nicht beachtet, dass im Hinblick auf die häufigen Probleme bei der Darlegung eines Schadens § 287 ZPO eine Darlegungs- und Beweiserleichterung für den Geschädigten enthält. Habe der Geschädigte den entstandenen Schaden der Art und Höhe nach substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, so habe das Gericht über die weitere Vorgehensweise gemäß § 287 Abs. 1 ZPO nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Das Gericht habe gegebenenfalls das verletzte Interesse des Geschädigten zu schätzen oder nach eigenem Ermessen gemäß § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO eine weitere Begutachtung von Amts wegen anzuordnen (BGH, Urteil v. 15.10.2019, VI ZR 377/18). Diese Optionen habe die Vorinstanz offensichtlich gar nicht in Betracht gezogen.
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt
Entsprechend dem Sinn des § 287 ZPO dürften die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast für den Geschädigten nicht zu hoch angesetzt werden, andernfalls werde eine wesentliche verfahrensrechtliche Regelung der ZPO missachtet und damit der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
OLG muss erneut entscheiden
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hatte damit Erfolg. Die Vorinstanz muss erneut unter Beachtung der vom BGH aufgestellten Grundsätze über die Klage entscheiden.
(BGH, Beschluss v. 30.7.2024, VI ZR 122/23)
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