Leitsatz (amtlich)
Dem Geschädigten wird durch § 287 ZPO nicht nur die Beweisführung, sondern bereits die Darlegung erleichtert. Er muss zur substantiierten Darlegung des mit der Klage geltend gemachten Schadens weder ein Privatgutachten vorlegen, noch ein vorgelegtes Privatgutachten dem Ergebnis der Beweisaufnahme oder der gerichtlichen Überzeugungsbildung entsprechend ergänzen. Der Geschädigte kann durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen aufklären lassen, in welcher geringeren als von ihm ursprünglich geltend gemachten Höhe Reparaturkosten anfallen.
Normenkette
ZPO § 287
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 15.03.2023; Aktenzeichen 17 U 217/22) |
LG Gießen (Entscheidung vom 14.09.2022; Aktenzeichen 3 O 137/18) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. März 2023 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Wert: 29.300,95 €
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger fuhr am 14. Dezember 2017 mit einem Mercedes-Benz E63 AMG, der am 27. November 2017 auf ihn zugelassen worden war, auf einer Bundesstraße. Der Beklagte zu 1 ist Halter eines bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Mercedes-Benz Sprinter. Der Kläger behauptet, auf der Höhe einer wegen einer Baustelle verkürzten Auffahrt habe der Fahrer des Mercedes-Benz Sprinter beim Wechsel von der Einfädelspur auf die rechte Fahrspur nicht auf sein Fahrzeug geachtet, weshalb es zu einer seitlichen Kollision gekommen sei. Am 18. Dezember 2017 erstellte die R. GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger war, ein Schadensgutachten über Schäden an der rechten Seite des Mercedes-Benz E63 AMG.
Rz. 3
Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Rz. 5
1. Das Berufungsgericht hat im Hinweisbeschluss ausgeführt, die geltend gemachten Fahrzeugschäden könnten nicht bei dem vom Kläger geschilderten Unfallgeschehen entstanden sein. Die Richtigkeit der Angaben des erstinstanzlich vernommenen Zeugen B. zum Zustand des Klägerfahrzeugs vor Fahrtantritt vorausgesetzt, könnten die nicht kompatiblen Schäden im Nachhinein hinzugekommen sein. Es stehe die ernsthafte Möglichkeit einer Manipulation im Raum. Dieser Verdacht werde gestützt durch die in keiner Weise nachvollziehbare Verweigerung der von der Beklagten zu 2 erbetenen Besichtigung des beschädigten Fahrzeugs vor dessen Verkauf durch den Kläger. Im Zurückweisungsbeschluss hat das Berufungsgericht ausgeführt, wenn der Kläger nun meine, bestimmte abgrenzbare Schäden (Türaußengriff, Beifahrertür, rechter Außenspiegel, Scheinwerfer, rechte Seitenwand) seien auch nach den Feststellungen des Sachverständigen auf das Unfallereignis zurückzuführen, ändere dies nichts. Es sei Sache des Klägers darzulegen, dass und in welchem Umfang ein Vermögensnachteil entstanden sei. Dies erfordere bei einem Vorschaden die Darlegung eines bestimmten, näher abgrenzbaren Teils des Schadens. Daran fehle es hier. Der Kläger habe nicht dargelegt, welche der Schäden an den von ihm nun benannten Fahrzeugteilen durch die Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug entstanden seien und welche nicht. Nach den Feststellungen des Sachverständigen fänden sich etwa an der rechten Seitenwand Spurenzeichnungen, die durch die Streifkollision mit dem Mercedes-Benz Sprinter verursacht worden sein könnten, aber auch ein Spurenbild, welches wegen des Richtungsverlaufs nicht zu dem geschilderten Unfallhergang passe. Abgesehen davon habe der Kläger auch nicht dargelegt, welche der zahlreichen, im Schadensgutachten vom 18. Dezember 2017 enthaltenen Positionen (Arbeitsleistung, Ersatzteile) zur Beseitigung der Schäden, deren Kompatibilität vom Sachverständigen festgestellt worden sei, erforderlich seien. Es sei jedoch Sache des Klägers, auch insoweit eine nachvollziehbare Abgrenzung vorzunehmen.
Rz. 6
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht mit diesen Ausführungen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Rz. 7
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grund-sätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Juni 2023 - VI ZR 197/21, NJW-RR 2023, 1038 Rn. 6 mwN).
Rz. 8
b) Das Berufungsgericht hat im Zurückweisungsbeschluss allein tragend darauf abgestellt, dass der Kläger nicht dargelegt habe, welche der behaupteten Schäden des Mercedes-Benz E63 AMG durch die Kollision mit dem Mercedes-Benz Sprinter entstanden seien und welche nicht. Er habe auch nicht dargelegt, welche der in dem von ihm vorgelegten Schadensgutachten enthaltenen Positionen (Arbeitsleistung, Ersatzteile) zur Beseitigung der Schäden, deren Kompatibilität vom Sachverständigen festgestellt worden sei, erforderlich seien. Es sei Sache des Klägers, auch insoweit eine nachvollziehbare Abgrenzung vorzunehmen.
Rz. 9
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind schon keine weiteren Darlegungen des Klägers zur Abgrenzung der Beschädigungen erforderlich gewesen. Denn der Sachverständige hat Ausführungen dazu gemacht, welche Beschädigungen durch die vom Kläger behauptete Kollision verursacht worden sein könnten. Danach ist die Abgrenzung oder Abgrenzbarkeit keine Frage der Darlegung, sondern wäre gegebenenfalls ein Gesichtspunkt der Beweiserhebung und richterlichen Überzeugungsbildung, ob der Kläger den ihm obliegenden Beweis zumindest teilweise geführt hat (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 6. Juni 2023 - VI ZR 197/21, NJW-RR 2023, 1038 Rn. 12).
Rz. 10
d) Im Übrigen hat der Kläger konkret dargelegt, welche der ursprünglich mit der Klage geltend gemachten Beschädigungen durch den Unfall verursacht worden sein sollen. Er hat in seiner Stellungnahme zum Hinweisbeschluss unter Bezugnahme auf die Erläuterung des Sachverständigen ausgeführt, über die bloße Unfallkompatibilität hinausgehend sei nachgewiesen, dass bestimmte abgrenzbare Beschädigungen durch das Unfallereignis verursacht worden seien. Der Sachverständige habe die Schäden am Türaußengriff, an der Beifahrertür und am rechten Außenspiegel zuordnen können sowie ausgeführt, dass es zu einem Reifenkontakt des Klägerfahrzeugs mit der B-Säule des Beklagtenfahrzeugs gekommen sein könne, dass die breite Kunststoffleiste des Beklagtenfahrzeugs mit den Beschädigungen an den Scheinwerfern des Klägerfahrzeugs in Verbindung gebracht werden könne und dass eine Berührung mit der hinteren rechten Seitenwand nicht ausgeschlossen werden könne. Es ist nicht ersichtlich, was der Kläger zur Abgrenzung der Beschädigungen hätte weiter sachdienlich darlegen oder ausführen können.
Rz. 11
e) Die weitere Erwägung des Berufungsgerichts, der Kläger habe auch nicht dargelegt, welche der in dem von ihm vorgelegten Schadensgutachten enthaltenen Positionen (Arbeitsleistung, Ersatzteile) zur Beseitigung der Schäden des Mercedes-Benz E63 AMG, deren Kompatibilität vom Sachverständigen festgestellt worden sei, erforderlich seien, und es sei Sache des Klägers, auch insoweit eine nachvollziehbare Abgrenzung vorzunehmen, überspannt ebenfalls die Darlegungsanforderungen.
Rz. 12
Dem Geschädigten wird durch § 287 ZPO nicht nur die Beweisführung, sondern bereits die Darlegung erleichtert (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. Juni 2023 - VI ZR 197/21, NJW-RR 2023, 1038 Rn. 13; vom 15. Oktober 2019 - VI ZR 377/18, NJW 2020, 393 Rn. 8; jew. mwN; siehe weiter Maschwitz, NZV 2024, 268 Rn. 10 f.). Er muss zur substantiierten Darlegung des mit der Klage geltend gemachten Schadens weder ein Privatgutachten vorlegen, noch ein vorgelegtes Privatgutachten dem Ergebnis der Beweisaufnahme oder der gerichtlichen Überzeugungsbildung entsprechend ergänzen. Der Geschädigte kann durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen aufklären lassen, in welcher geringeren als von ihm ursprünglich geltend gemachten Höhe Reparaturkosten anfallen (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Juni 2023 - VI ZR 197/21, NJW-RR 2023, 1038 Rn. 13; siehe weiter Maschwitz, NZV 2024, 268 Rn. 19 ff., 26 ff.).
Rz. 13
f) Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat die Möglichkeit einer Manipulation bislang nur ernsthaft angenommen, sich davon aber nicht überzeugt (vgl. dazu Senat, Urteil vom 1. Oktober 2019 - VI ZR 164/18, NJW 2020, 1072; Maschwitz, NZV 2024, 268 Rn. 28). Es kann daher nicht sicher ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, der geltend gemachte Anspruch bestehe zumindest teilweise.
Seiters von Pentz Allgayer
Böhm Linder
Fundstellen
Haufe-Index 16638257 |
NJW 2024, 9 |
NJW-RR 2024, 1350 |
JZ 2024, 594 |