Leitsatz (amtlich)
Die Verdunkelungsgefahr im Sinn von § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO lässt sich nicht allein aus der Eigenart des dem Beschuldigten vorgeworfenen Delikts ableiten. Hinzu kommen müssen für deren Annahme vielmehr noch weitere Umstände, aus denen auf die Gefahr der negativen, nämlich verdunkelnden Einflussnahme geschlossen werden kann. Dazu ist eine Prüfung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich.
Verfahrensgang
AG Herne (Aktenzeichen 11 Gs 498/01) |
Tenor
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Herne vom 9. Oktober 2001 - 11 Gs 498/01 - wird aufgehoben.
Gründe
I.
Dem Beschuldigten wird von der Staatsanwaltschaft Bochum vorgeworfen, in der Zeit von 1996 bis 2001 Einkommen-, Umsatz-, Gewerbe- und Lohnsteuer in Höhe von rund 800. 000 DM hinterzogen zu haben. Der Beschuldigte soll dazu seine Besteuerungsunterlagen manipuliert haben. Dazu soll er mit einem EDV-Programm die Monatsumsätze seines Taxiunternehmens nach unten reduziert und die Kilometerstände der Fahrzeuge seines Betriebes mittels eines Tachometermanipulationsgerätes zurückgestellt haben.
Das Amtsgericht Herne hat gegen den Beschuldigten am 9. Oktober 2001 Haftbefehl erlassen, der auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO gestützt ist. Hiergegen hat der Beschuldigte Beschwerde eingelegt, die das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss verworfen hat. Gegen diese Entscheidung wendet der Beschuldigte sich nunmehr noch mit seiner weiteren Haftbeschwerde. Eine Nichtabhilfenentscheidung der Kammer lässt sich den Akten nicht entnehmen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Haftbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die weitere (Haft-)Beschwerde ist gemäß § 310 Abs. 1 StPO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Da die Haftbeschwerde in der Sache Erfolg hat, kann es letztlich dahinstehen, wie der Umstand zu bewerten ist, dass die Strafkammer vorliegend zumindest ausdrücklich einen Nichtabhilfebeschluss nicht gefasst hat und ob die Sache deshalb ggf. zunächst an die Strafkammer zurückzuverweisen gewesen wäre. Einer solchen Verfahrensweise steht nach Ansicht des Senats der sich aus Art. 2 Abs. 2 GG ergebenden Freiheitsanspruch des Beschuldigten entgegen. Wegen der (fehlenden) Begründung des Nichtabhilfebeschlusses weist der Senat nur auf den Beschluss des hiesigen 3. Strafsenats vom 22. Januar 1996 (StV 1996, 421) hin. Danach dürfte eine nähere Begründung der Nichtabhilfeentscheidung erforderlich gewesen sein.
2. Die Frage kann jedoch dahinstehen, da ein Haftgrund nach § 112 Abs. 2 StPO nicht vorliegt und daher der Haftbefehl des Amtsgerichts Herne vom 9. Oktober 2001 aufzuheben war.
a) Da der Haftbefehl schon aus diesem Grund aufgehoben werden musste, brauchte der Senat zunächst auch nicht die Frage zu entscheiden, ob "dringender Tatverdacht" im Sinn des § 112 StPO gegeben ist. Insoweit weist er nur darauf hin, dass das zwar jetzt aufgrund der im Ermittlungsverfahren durchgeführten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft der Fall sein dürfte. Der Senat hat aber erhebliche Zweifel, ob zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehls dringender Tatverdacht zu Recht bejaht worden ist. Zu dem Zeitpunkt lag nämlich allein der "Verdachtsprüfungsvermerk" des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung vor, der zum Anlass für den Antrag und den Erlass des Haftbefehls genommen worden ist.
Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang auch die weitere Frage, wie der Umstand zu bewerten ist, dass dem Verteidiger des Beschuldigten bislang unter Hinweis auf § 147 Abs. 2 StPO noch nicht vollständige Akteneinsicht gewährt worden ist, was zur Folge hat, dass diesem weitgehend der Inhalt der nach Erlass des Haftbefehls aufgenommenen Ermittlungen unbekannt ist. Dies kann möglicherweise im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. NJW 1994, 3219) und des EGMR in der sog. Lamyentscheidung (vgl. dazu StV 1993, 283), insbesondere aber im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des EGMR zur Akteneinsicht in Haftsachen (vgl. dazu StV 2001, 201, 203, 205 mit zustimmender Anmerkung Kempf StV 2001, 206) ggf. zu einem (Beweisverwertung)Verbot führen (vgl. dazu auch Schlothauer StV 2001, 192 ff. ) Der Senat weist insoweit im Übrigen schließlich auch nur darauf hin, dass sich aus der Akte nicht erschließt, warum dem Verteidiger noch immer vollständige Akteneinsicht verwehrt wird.
b) Der vom Amtsgericht und von der Strafkammer bejahte Haftgrund der Verdunkelungsgefahr im Sinn der § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO ist nicht gegeben. Die Annahme dieses Haftgrundes setzt ein Verhalten des Beschuldigten voraus, das den dringenden Verdacht begründet, dass durch bestimmte Handlungen auf sachliche oder persönliche Beweismittel eingewirkt und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschwert werden wird (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. , 2001, § 112 Rn. 26 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung, sowie auch die nachfolgend angeführte Rechtsprechung der Obergerichte). Dabei muss das Einwirken des Beschuldi...