Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtverteidiger. Entpflichtung. Beschwerderecht. Ausbleiben. Angeklagten. Hauptverhandlung. wichtiger Grund
Leitsatz (amtlich)
1. Die Beschwerde des Pflichtverteidigers gegen die Ablehnung seiner Entpflichtung ist wegen § 48 Absatz 2 BRAO, der ein eigenes Recht des Verteidigers auf Aufhebung der Beiordnung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vorsieht, zulässig.
2. Allein die Flucht des Angeklagten während laufender Hauptverhandlung und der sich daraus ergebende Kontaktabbruch mit dem Verteidiger stellt keinen solchen wichtigen Grund dar.
Normenkette
StPO § 231 Abs. 2; BRAO § 48 Abs. 2; StPO §§ 234a, 143
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 10 KLs 1/15) |
Tenor
Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beschwerdeführer (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO).
Gründe
I.
Durch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 15. Januar 2015 werden dem Angeklagten Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall in zwei Fällen, sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen in Tateinheit mit Nötigung, Nötigung in einem besonders schweren Fall in drei Fällen sowie räuberische Erpressung in drei Fällen, in einem Fall im Versuch begangen und in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung begangen, zur Last gelegt.
Das Landgericht - große Strafkammer - Bielefeld hat die Anklage mit Eröffnungsbeschluss vom 13. März 2015 unverändert zu Hauptverhandlung zugelassen. Durch Beschluss vom 7. April 2015 ist der Beschwerdeführer dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden.
An insgesamt sieben Tagen hat die Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten, der sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 6. Februar 2013 (9 Gs 609/13) seit dem 2. Dezember 2014 in Untersuchungshaft befunden hat, stattgefunden. Im Hauptverhandlungstermin vom 30. Juni 2015 ist der Haftbefehl gegen den Angeklagten unter Auflagen außer Vollzug gesetzt worden. Zu dem folgenden Hauptverhandlungstermin am 1. Juli 2015 ist der Angeklagte noch erschienen, zum Hauptverhandlungstermin am 20. Juli 2015 dann jedoch nicht mehr. Das Landgericht hat sodann durch Beschluss vom selben Tag festgestellt, dass die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten zu Ende geführt werden soll (§ 231 Abs. 2 StPO).
Zum folgenden Hauptverhandlungstermin am 11. August 2015 ist der Angeklagte erneut nicht erschienen. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten - der Beschwerdefürer - hat in diesem Termin beantragt, entpflichtet zu werden. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, das Vertrauensverhältnis sei infolge des Verhaltens seines Mandanten nachhaltig gestört. Er habe seit dem letzten Hauptverhandlungstermin, an dem beide anwesend gewesen seien, keinerlei Kontakt mehr zu dem Angeklagten. Infolgedessen sei es ihm nicht möglich, mit dem Angeklagten den weiteren Ablauf und die weitere Beweisaufnahme zu besprechen. Er sehe sich daher nicht in der Lage, den Angeklagten künftig angemessen verteidigen zu können.
Das Landgericht hat den Antrag des Verteidigers auf Entpflichtung mit Beschluss vom selben Tag abgelehnt. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten hat mit Schreiben vom selben Tag, welches als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll genommen wurde, Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde des Pflichtverteidigers bereits als unzulässig zu verwerfen. Zur Begründung hat sie angeführt, einem Pflichtverteidiger stehe ein eigenes Recht zur Beschwerde nicht zu. Das Institut der Pflichtverteidigung diene dem Zweck, im öffentlichen Interesse das justizförmige Verfahren zu sichern. Die Möglichkeit eines Pflichtverteidigers sich aus einer angeordneten Beiordnung kraft eigenen Willensentschlusses zu lösen, ließe sich mit dem Verständnis dieses Rechtsinstituts nicht vereinbaren.
Im Rahmen seiner Gegenerklärung macht der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, es liege eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses und ein unüberbrückbarer Konflikt über das Verteidigungskonzept vor, da der Angeklagte jedweden Kontakt abgebrochen habe.
II.
1. Die Beschwerde des Pflichtverteidigers ist zunächst zulässig.
Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof, der sich wiederholt mit der Begründetheit eines Antrags auf Entpflichtung eines notwendigen Verteidigers befasst hat und hierbei - jeweils ohne nähere Darlegung - von der Zulässigkeit einer Beschwerde des Pflichtverteidigers ausgegangen ist (vgl. BGH Urteil vom 19. Mai 1988 - 2 StR 22/88 -, [...]; BGH, Urteil vom 26. August 1993, 4 StR 364/93 -, [...]= BGHSt 39, 310; HK-StPO-Julius, 5.A., § 143 Rn.9). Soweit vereinzelt vertreten wird, dem Pflichtverteidiger stehe ein eigenes Recht zur Beschwerde nicht zu (OLG Bamberg, Beschluss vom 23. März 1989 - Ws 157/89 -, [...] = MDR 1990, 460; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 1 Ws 122/09 -, [...]), vermag diese Auffassung nicht zu überzeugen, da sie im Widerspruch zu § 48 Abs. 2 BR...