Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafverfahrensrecht
Leitsatz (amtlich)
Bei der Beantwortung der Frage, ob die Vertretungsmacht des Verteidigers im Sinne von § 329 Abs. 2 StPO "nachgewiesen" ist, darf nicht aus dem Blick geraten, dass - jedenfalls dann, wenn nur der Angeklagte Berufung eingelegt hat - die Alternative zu dessen Vertretung in der Berufungshauptverhandlung in der umstandslosen Verwerfung seines Rechtsmittels besteht.
Nach Lage des Einzelfalles kann es daher unbedenklich sein, wenn der Verteidiger die Vollmachturkunde selbst (hier: um das Aktenzeichen des Berufungsverfahrens im Betreff der Vollmachturkunde) vervollständigt.
Normenkette
StPO § 329 Abs. 1-2
Tenor
I.
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Angeklagten verworfen.
II.
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Eschweiler hat die Angeklagte am 20. November 2020 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit Erschleichen von Leistungen zu der bedingten Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt. Ihr gegen diese Entscheidung gerichtetes - zunächst unbenanntes, als Berufung durchgeführtes - Rechtsmittel hat das Landgericht Aachen mit der angefochtenen Entscheidung in Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO verworfen.
Mit Beschluss vom 19. März 2021 hat es zudem den Antrag der Angeklagten, ihr gegen die Versäumung des Termins zur Berufungshauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, abgelehnt.
Hiergegen richtet sich ihre sofortige Beschwerde. Das Verwerfungsurteil bekämpft sie mit der nicht ausgeführten Sachrüge und einer Verfahrensbeanstandung.
II.
1.
Die sofortige Beschwerde gegen die versagte Wiedereinsetzung - über die vorab zu entscheiden ist, da die Gewährung von Widereinsetzung der Revision die Grundlage entzöge (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, StPO, § 342 Rz. 2) - ist gemäß §§ 329 Abs. 7 S. 1, 46 Abs. 3 StPO statthaft und innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt, in der Sache bleibt sie ohne Erfolg. Das Landgericht hat der Angeklagten die begehrte Wiedereinsetzung mit Recht versagt.
a)
aa)
Wiedereinsetzung in den Stand gegen die Versäumung eines Termins zur Berufungshauptverhandlung erhält in entsprechender Anwendung des § 44 S. 1 StPO derjenige, den an der der Versäumung des Termins kein Verschulden trifft. Vorzutragen ist hierfür ein Sachverhalt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden des Angeklagten ausschließt. Erforderlich ist eine genaue Darstellung der Tatsachen, die für die Frage bedeutsam sind, wie und ggfs. durch welche Umstände es zu der Versäumung des Termins zur Hauptverhandlung gekommen ist (SenE v. 15.09.2000 - Ss 376/00 -; SenE v. 25.04.2002 - Ss 173/02 B -; vgl. a. SenE v. 03.04.2002 - Ss 134/02 B -; SenE v. 31.01.2003 - Ss 29/03 Z -; SenE v. 29.07.2003 - Ss 197/03 -; SenE v. 06.11.2012 - III-1 Ws 137/12; SenE v. 17.02.2016 - III-1 RVs 23/16 -; SenE v. 20.10.2017 - III-1 RVs 254/17 -; SenE v. 20.02.2018 - III-1 RBs 46/18 -). Hieran fehlt es:
Die Angeklagte bringt vor, sie habe am Terminstage um 8:00 Uhr - bei auf 9:00 Uhr anberaumter Terminsstunde - den Zug von A nach B (scil.: der - wie dem Senat bekannt ist - für diese Fahrtstrecke zehn Minuten benötigt) benutzen wollen. Dieser sei aber nicht gefahren, vielmehr sei ein Schienenersatzverkehr eingesetzt gewesen, der aber auch nicht gekommen sei. Ihr Mobiltelefon habe kein Guthaben aufgewiesen, sodass sie die Berufungsstrafkammer auch nicht von ihrer Verspätung habe in Kenntnis setzen können.
Mit der Beschwerdebegründung wird sodann vorgebracht, der Schienenersatzverkehr sei "in der Nacht zum Terminstage" "aufgrund der Witterungsverhältnisse" eingerichtet worden. Hiervon habe die Angeklagte keine Kenntnis gehabt.
Nach den ergänzend angestellten Ermittlungen der Kammer ist am fraglichen Tag um 8:02 Uhr ein Bus ab A Hauptbahnhof nach B gefahren, der planmäßig um 8:50 Uhr am Bahnhof C eintreffen sollte. Unter Berücksichtigung des Fußweges von dort zum Landgerichtsgebäude sowie der dort stattfindenden Einlasskontrollen hätte die Angeklagte - auch unter Berücksichtigung einer angemessenen Wartezeit - den Hauptverhandlungstermin nicht mehr wahrnehmen können.
bb)
Mit dem Vortrag, statt des regulären Zuges sei Schienenersatzverkehr eingesetzt gewesen, ist bereits ein Sachverhalt nicht dargetan, der jegliches Verschulden der Angeklagten an der Terminsversäumung ausschließt. Dabei kann offenbleiben, ob der ergänzenden Sachvortrag gemäß Beschwerdebegründung noch als Ergänzung und Verdeutlichung des innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 S. 1 StPO unterbreiteten Sachverhalts gelten oder ob dieser den mit dem Antrag vorgetragenen Sachverhalt so verändert, dass er als neuer keine Berücksichtigung mehr finden kann (zur Möglichkeit [nur] der Verdeutlichung und Ergänzung des Sachverhalts in der Beschwerdebegrü...