Leitsatz (amtlich)
Das Merkmal der “Unkenntnis„ ist in den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr.2 AO hineinzulesen. Dementsprechend scheidet eine vollendete Steuerhinterziehungdurch Unterlassen in den Fällen aus, in denen die Finanzbehörden zum maßgeblichenVeranlagungszeitpunkt von den wesentlichen steuerlich relevanten Umständenbereits Kenntnis haben.
Verfahrensgang
LG Bonn (Aktenzeichen 84 Ss 4/16) |
Tenor
Die Revision wird verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der dem Angeklagten darin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bonn hat den Angeklagten am 13. Oktober 2015 wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Auf seine hiergegen gerichtete Berufung hat die 9. kleine Strafkammer des Landgerichts Bonn - als Wirtschaftsstrafkammer - das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.
Den Feststellungen der Kammer zufolge ist der Angeklagte seit 2005 verheiratet. Seine Ehefrau ist (erst) seit November 2015 berufstätig. Beide Eheleute wurden in 2009 steuerlich gemeinschaftlich veranlagt. Der Angeklagte ist Geschäftsführer der B. GmbH und bezog aus dieser Tätigkeit im Jahr 2009 ein Bruttogehalt von 180.000 €. Die entsprechende Lohnsteuerbescheinigung war ab dem 11. Januar 2010 im elektronischen Register der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen verfügbar. Daneben hält der Angeklagte verschiedene Unternehmensbeteiligungen, die ihm in dem außergewöhnlich gut verlaufenen Geschäftsjahr 2009 insgesamt positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 3.528.205 € einbrachten. Die Einkünfte wurden, wie in den Vorjahren, ordnungsgemäß und fristgerecht gegenüber den jeweils zuständigen Finanzämtern erklärt und sodann dem für den Angeklagten zuständigen Veranlagungsfinanzamt C.-Außenstadt durch sog. ESt4B-Meldungen mitgeteilt. Die Meldungen erfolgten teils 2010, teils (zuletzt im Juli) 2011. Darüber hinaus erzielte der Angeklagte für das Steuerjahr 2009 bereits an der Quelle versteuerte Kapitaleinkünfte in Höhe von 3.466 € sowie negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in einer Gesamthöhe von 100.035 €.
Eine Einkommenssteuererklärung für das Jahr 2009 gab der stets durch Steuerberater vertretene Angeklagte bis zum 30. November 2011, als die Steuerbehörde die Veranlagungsarbeiten im Wesentlichen (95 %) abgeschlossen hatte, nicht ab. Das Finanzamt C.-Außenstadt erließ daraufhin auf der Grundlage der ihm vorliegenden Informationen unter dem 1. Februar 2012 einen Schätzbescheid über eine Steuerschuld in Höhe von 1.568.831 €. Der Angeklagte ließ diesen Bescheid rechtskräftig werden und überwies den festgesetzten Betrag umgehend an die Finanzbehörden.
Nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen ihn reichte der Angeklagte im Februar 2013 schließlich für sich und seine Ehefrau die Einkommenssteuererklärung für 2009 ein. In dem darauf ergangenen endgültigen, ebenfalls rechtskräftig gewordenen Steuerbescheid vom 17. Oktober 2014 wurde gegen den Angeklagten bei Anwendung der Splittingtabelle eine Steuerschuld in Höhe von 1.360.475 € festgesetzt, womit im Ergebnis eine Überzahlung vorlag.
Im Rahmen der rechtlichen Würdigung hat die Strafkammer ausgeführt, der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO sei bezogen auf den relevanten Zeitpunkt einer möglichen Tatvollendung zu verneinen. Eine Strafbarkeit scheide aus, weil dem zuständigen Finanzamt zum 30. November 2011 alle positiven Einkünfte des Angeklagten bekannt gewesen seien. Der Angeklagte sei auch nicht wegen versuchter Steuerhinterziehung zu bestrafen, weil ihm ein Vorsatz, die Finanzbehörde bezüglich steuerlich relevanter Tatsachen in Unkenntnis zu lassen, nicht nachzuweisen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die mit der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision der Staatsanwaltschaft, welcher die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist. Die Beschwerdeführerin beanstandet insbesondere, die Kammer habe zu Unrecht auf eine tatbestandsausschließende Kenntnis der Finanzbehörde abgestellt. Das Merkmal des "In-Unkenntnis-Lassens" sei regelmäßig bereits dann verwirklicht, wenn der Steuerpflichtige die Steuererklärung gemäß § 149 AO pflichtwidrig nicht abgebe. Die von der Kammer eingenommene Sichtweise führe zu Strafbarkeitslücken und Wertungswidersprüchen, was im Einzelnen ausgeführt wird.
II.
Die Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Revision der Staatsanwaltschaft hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand, weil die Berufungsstrafkammer zu Recht davon ausgegangen ist, dass vorliegend weder die tatbestandlichen Voraussetzungen der vollendeten noch der versuchten Steuerhinterziehung gegeben sind.
Nach der allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsac...