Entscheidungsstichwort (Thema)

Verdunkelungshandlung. Verdunkelungsgefahr

 

Leitsatz (redaktionell)

Die bloße Fortwirkung einer früheren Verdunkelungshandlung reicht für die Annahme einer noch bestehenden Verdunkelungsgefahr grundsätzlich nicht aus.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Entscheidung vom 02.11.2009)

AG Magdeburg (Entscheidung vom 23.09.2009; Aktenzeichen 6 Ds 574 Js 32539/09 (738/09))

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss der 4. Strafkammer des Landgerichts Magdeburg vom 02. November 2009 aufgehoben.

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Magdeburg vom 23. September 2009 (6 Gs 574 Js 32539/09 (738/09)) wird aufgehoben.

Der Angeklagte ist in dieser Sache auf freien Fuß zu setzen.

 

Gründe

Der Angeklagte wurde in dieser Sache am 22. September 2009 vorläufig festgenommen und befindet sich aufgrund des am 23. September 2009 erlassenen und verkündeten Haftbefehls des Amtsgerichts Magdeburg (6 Gs 574 Js 32539/09 (738/09)), gestützt auf den dringenden Tatverdacht der Steuerhinterziehung in acht Fällen sowie den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, seitdem in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 02. November 2009 hat die 4. große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Magdeburg als Beschwerdekammer die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 27. Oktober 2009, mit welchem der Haftbefehl vom 23. September 2009 nach Durchführung der mündlichen Haftprüfung aufrechterhalten wurde, als unbegründet zurückgewiesen.

Der gegen den Beschluss vom 02. November 2009 gerichteten weiteren Beschwerde des Beschuldigten hat die 4. Strafkammer des Landgerichts Magdeburg mit Beschluss vom 24. November 2009 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das gemäß § 310 Abs. 1 StPO zulässige Rechtsmittel ist begründet.

Ungeachtet der Frage, ob hinsichtlich der dem Beschuldigten mit Haftbefehl vom 23. September 2009 vorgeworfenen acht Taten dringender Tatverdacht vorliegt, ist der Haftbefehl aufzuheben, weil ein - hier allein in Betracht kommender - Haftgrund nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO nicht besteht.

1.

Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO liegt nicht vor. Die bloße Fortwirkung einer früheren Verdunkelungshandlung, die hier im vom Beschuldigten nicht hinreichend erklärten Verschwinden eines gefüllten Plastikmüllsacks im unmittelbaren Zusammenhang mit den Durchsuchungsmaßnahmen am 22. September 2009 erblickt werden könnte, reicht für die Annahme einer noch bestehenden Verdunkelungsgefahr grundsätzlich nicht aus (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 112 Rdnr. 35). Die auf bestimmte Tatschen begründete Gefahr zukünftiger Verdunkelungshandlungen ist derzeit nicht ersichtlich.

2.

Der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO ist ebenfalls nicht gegeben. Eine solche besteht dann, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher machen, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Dabei erfordert die Beurteilung der Fluchtgefahr die Berücksichtigung aller Umstände des Falles, insbesondere der Art der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat, seiner Persönlichkeit, seiner Lebensverhältnisse, seines Vorlebens und seines Verhaltens vor und nach der Tat (Meyer-Goßner, a. a. 0., § 112 Rdnrn. 17, 19).

Danach ist von einer Fluchtgefahr nach dem jetzigen Sachstand nicht auszugehen. Zwar droht dem nicht vorbestraften Beschuldigten eine nicht unerhebliche Gesamtfreiheitsstrafe. Allerdings vermag im Allgemeinen die Straferwartung allein die Fluchtgefahr nicht zu begründen; sie ist vielmehr nur Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme gerechtfertigt ist, der Beschuldigte werde ihm wahrscheinlich nachgeben und flüchtig werden (Meyer-Goßner, a. a. 0., § 112, Rdnr. 24). Über die bloße Straferwartung hinausgehende Umstände. die einen Fluchtanreiz begründen oder erhöhen könnten. sind hingegen nicht ersichtlich. Denn der Beschuldigte ist zwar derzeit arbeitslos und lebt seit ca. einem Jahr getrennt von seiner Ehefrau. Er hat jedoch bis 2008 längere Zeit in seinem erlernten Beruf als Schweißer gearbeitet und verfügt über gefestigte soziale Bindungen zu seiner Lebensgefährtin. in deren Wohnung in Stendal er zum Zeitpunkt der Durchsuchung offensichtlich wohnte, sowie zu deren gleichfalls in Stendal wohnenden Verwandten. Auch seine minderjährigen Kinder leben dort. Obgleich der Beschuldigte über Kontakte in sein Herkunftsland sowie über die kasachische Staatsbürgerschaft verfügt, überwiegen die für eine Flucht sprechenden Umstände die fluchthemmenden Momente derzeit nicht. Im Hinblick auf die Höhe des nach den bisherigen Ermittlungen berechneten Steuerschadens von ca. 47.000,00 bis 88.000,00 EUR und die sich daraus ergebende Straferwartung sowie unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ist es wahrscheinlicher, dass sich der Beschuldigte de...

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