Leitsatz (amtlich)
Aus einem Verstoß eines Verkehrsteilnehmers beim Betrieb einer dashcam (On-Board-Kamera) gegen das datenschutzrechtliche Verbot gem. § 6b BDSG, nach dem die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optischelektronischen Einrichtungen nur in engen Grenzen zulässig ist, folgt nicht zwingend ein Beweisverwertungsverbot im Bußgeldverfahren. § 6b BDSG, insbesondere dessen Absatz 3 Satz 2, enthält kein gesetzlich angeordnetes Beweisverwertungsverbot für das Straf- und Bußgeldverfahren. Ob ein (möglicherweise) unter Verstoß gegen § 6b BDSG erlangtes Beweismittel zulasten eines Betroffenen in einem Bußgeldverfahren verwertet werden darf, ist im Einzelfall insbesondere nach dem Gewicht des Eingriffs sowie der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Der Tatrichter ist grundsätzlich nicht gehindert, eine Videoaufzeichnung, die keine Einblicke in die engere Privatsphäre gewährt, sondern lediglich Verkehrsvorgänge dokumentiert und eine mittelbare Identifizierung des Betroffenen über das Kennzeichen seines Fahrzeugs zulässt, zu verwerten, wenn dies zur Verfolgung einer besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigenden Ordnungswidrigkeit erforderlich ist.
Normenkette
BDSG § 6b
Verfahrensgang
AG Reutlingen (Entscheidung vom 27.05.2015; Aktenzeichen 7 OWi 28 Js 7406/15) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Reutlingen vom 27. Mai 2015 wird als unbegründet
verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Reutlingen verhängte gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Missachtens des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase länger als eine Sekunde andauerte, eine Geldbuße von 200 Euro und verbot ihm für die Dauer von einem Monat, im öffentlichen Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen, wobei ihm die Schonfrist nach § 25 Abs. 2a StVG eingeräumt wurde.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er erhebt die Sachrüge und greift mit einer Verfahrensrüge insbesondere die Verwertung einer von einem Zeugen mittels "dashcam" - einer kleinen Videokamera, die meist auf dem Armaturenbrett oder an der Windschutzscheibe eines Fahrzeugs angebracht ist und während der Fahrt aufzeichnen kann - gefertigten Videoaufnahme an. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde durch Beschluss als unbegründet zu verwerfen.
Der Einzelrichter hat die Sache zur Fortbildung des Rechts auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG).
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWIG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat in der Sache keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Begründung der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Die Sachrüge ist, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat, unbegründet. Auch die Verfahrensrüge, mit der der Betroffene einen Verstoß gegen ein angenommenes Beweisverwertungsverbot geltend macht, bleibt ohne Erfolg.
1. Der Rüge liegen folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts fuhr der Betroffene mit einem Pkw innerorts bei ruhiger Verkehrslage über eine näher bezeichnete Kreuzung, obwohl die sich dort befindende Wechsellichtzeichenanlage bereits seit mindestens sechs Sekunden für die Fahrtrichtung des Betroffenen Rot zeigte. Der Betroffene hätte bei ihm möglicher und jederzeit zumutbarer Aufmerksamkeit die Lichtzeichenanlage uneingeschränkt wahrnehmen und rechtzeitig anhalten können. Zuvor hatte der Betroffene eine ebenfalls für ihn Rot zeigende Lichtzeichenanlage überfahren, was allerdings nicht Gegenstand des Bußgeldverfahrens ist.
Zur Überzeugungsbildung hat das Amtsgericht unter anderem Folgendes herangezogen: Der Betroffene, der sich ansonsten nicht zur Sache eingelassen hat, hat über seinen Verteidiger die Fahrereigenschaft eingeräumt. Die Feststellungen zur Sache beruhen auf der Inaugenscheinnahme einer Videoaufzeichnung, welche ein Zeuge mit einer "dashcam" gefertigt hat. Dabei lief die Kameraaufzeichnung, wie sie auch komplett in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen wurde, bereits seit Fahrtbeginn des Zeugen und anlasslos über seine gesamte Fahrtstrecke weiter. Diese Videoaufzeichnung wurde von einem Sachverständigen in der Hauptverhandlung vorgespielt und ausgewertet. Die Dauer des Rotlichtverstoßes ergab sich dabei aus der in der Videoaufzeichnung mitlaufenden Uhr, wobei der Sachverständige unter anderem feststellen konnte, dass die Uhrzeit als solche zutreffend im Sekundentakt mitzählt. Aus dem in Augenschein genommenen Video ergaben sich für das Amtsgericht ferner die weiteren Umstände der Fahrt sowie die Sicht- und Verkehrsverhältnisse. Zudem legte das Amtsgericht dar, dass ohne die Videoaufzeichnung allein mit der Aussage des Zeugen eine für eine Verurteilun...