Leitsatz
1. Eine Lieferung gilt auch dann bei Beginn der Versendung in einem anderen Mitgliedstaat als dort ausgeführt (§ 3 Abs. 6 S. 1 UStG), wenn die Person des inländischen Abnehmers dem mit der Versendung Beauftragten im Zeitpunkt der Übergabe der Ware nicht bekannt ist, aber mit hinreichender Sicherheit leicht und einwandfrei aus den unstreitigen Umständen, insbesondere aus Unterlagen abgeleitet werden kann (Änderung der Rechtsprechung).
2. Dem steht nicht entgegen, dass die Ware von dem mit der Versendung Beauftragten zunächst in ein inländisches Lager gebracht und erst nach Eingang der Zahlung durch eine Freigabeerklärung des Lieferanten an den Erwerber herausgegeben wird.
Normenkette
§ 3 Abs. 6 UStG
Sachverhalt
Die in Großbritannien ansässige Klägerin lieferte die bei ihr von einem in Deutschland ansässigen Abnehmer bestellte Ware durch Einschaltung eines Spediteurs. Die Ware wurde zu einer in Deutschland ansässigen Schwestergesellschaft der Klägerin transportiert. Diese durfte die Ware dem Abnehmer erst nach einer Freigabeerklärung durch die Klägerin übergeben ("shipment on hold"-Klausel), die nach Eingang der Zahlung zu erteilen war und im Streitfall auch erteilt wurde.
Die Klägerin ging von einer in Deutschland nicht steuerbaren innergemeinschaftlichen Lieferung aus Großbritannien aus, während das FA eine steuerpflichtige Inlandslieferung annahm.
Das FG wies die Klage ab: Die Klägerin habe nach Beginn der Versendung den Zugriff auf die Ware behalten, da die Aushändigung an den Abnehmer von ihrer Freigabeerklärung abhängig gewesen sei (Niedersächsisches FG, Urteil vom 03.05.2007, 5 K 232/02, Haufe-Index 1774298, EFG 2007, 1282).
Entscheidung
Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Der BFH gab der Klage aus den aus den Praxis-Hinweisen ersichtlichen Gründen statt.
Der V. Senat des BFH hat der Abweichung von seiner Rechtsprechung in den Urteilen vom 10.11.1966, V 73/64 (BStBl II 1967, 101) und vom 24.02.1994, V R 35/91 (BFH/NV 1995, 555) zugestimmt.
Hinweis
1. Die Lieferung einer Ware an einen inländischen Abnehmer ist nicht im Inland steuerbar, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat ausgeführt wurde. Nach § 3 Abs. 6 S. 1 UStG gilt die Lieferung im Fall der Beförderung oder Versendung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer beginnt. Die Versendung beginnt gem. § 3 Abs. 6 S. 4 UStG mit der Übergabe des Gegenstands an den Beauftragten. Voraussetzung ist jedoch, dass der Abnehmer zu diesem Zeitpunkt feststeht (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 12.09.1991, V R 118/87, Haufe-Index 63728, BStBl II 1991, 937).
2. Nach dem BFH-Urteil vom 10.11.1966, V 73/64 (BStBl II 1967, 101) steht der Abnehmer bei einer Versendung nur fest, wenn er sich aus den anlässlich der Beförderung ausgestellten Papieren und Urkunden ergibt.
Nach der für dieses Urteil maßgeblichen Rechtslage (§ 5 der Durchführungsbestimmungen zum UStG) konnte eine Versendung nur durch einen Frachtführer, Verfrachter oder Spediteur erfolgen. Dagegen kann nunmehr nach § 3 Abs. 6 S. 3 UStG die Versendung auch durch einen beliebigen Beauftragten erfolgen, bei dem keine Frachtpapiere auszustellen sind und selbst ein mündlicher Auftrag ausreichen kann.
Diese Änderung der Rechtslage hat zur Folge, dass an derRechtsprechung, die Person des Abnehmers müsse sich zwingend aus den Frachtpapieren ergeben, nicht mehr festgehalten werden kann. Gleiches gilt für die Rechtsprechung in dem Urteil vom 24.02.1994, V R 35/91 (BFH/NV 1995, 555), wonach bei einer Versendung dem Beauftragten im Zeitpunkt der Übergabe des Gegenstands der Name des Abnehmers bekannt sein muss.
Denn wenn die Annahme einer Versendung nicht mehr das Vorhandensein von Frachtpapieren voraussetzt, muss es vernünftigerweise ausreichen, wenn sich aus den unstreitigen Umständen, insbesondere aus Unterlagen leicht und einwandfrei ableiten lässt, dass der Abnehmer zum maßgeblichen Zeitpunkt der Übergabe des Gegenstands an den Beauftragten festgestanden hat.
Dies ist z.B. der Fall, wenn der Lieferer die Ware nach Eingang der Bestellung eines Abnehmers aus einem anderen Mitgliedstaat einem Spediteur zum Transport an ein Schwesterunternehmen des Lieferers im Mitgliedstaat des Abnehmers übergibt und die Ware dort dem Abnehmer auch tatsächlich ausgehändigt wird.
3.Unerheblich ist, dass die Ware dem Abnehmer erst nach Eingang der Zahlung und einer entsprechenden Freigabeerklärung durch den Lieferer ("shipment on hold") ausgehändigt werden darf. Denn dies verleiht der Lieferung lediglich den Charakter einer Versendungslieferung per Nachnahme, bei der es allein in der Sphäre des Empfängers liegt, die Voraussetzung für die Aushändigung zu erfüllen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 30.07.2008 – XI R 67/07