Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Der EuGH muss sich nun aufgrund eines Vorlagebeschlusses des FG Hamburg zu der Frage äußern, wo der mehrwertsteuerrechtliche Ort der Einfuhr eines in einem Drittland zugelassenen Transportmittels (Kfz) liegt, das unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften in die Union verbracht und dort genutzt wird.
Sachverhalt
Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Einfuhrmehrwertsteuer (Einfuhrumsatzsteuer) auf ein unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften ins Unionsgebiet verbrachtes Fahrzeug. Der in Deutschland seit mehreren Jahren ansässige und gemeldete Kläger mit georgischer Staatsangehörigkeit erwarb im Januar 2019 in Georgien einen in Georgien auf seinen Namen zugelassenen Pkw. Im März 2019 fuhr er mit dem Fahrzeug von Georgien über die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland, ohne das Fahrzeug in der Union zu einer Einfuhrzollstelle zu befördern und zu gestellen. In Deutschland benutzte er das Fahrzeug für private und – was das beklagte Hauptzollamt bestreitet – geschäftliche Fahrten. Bei einer dieser Fahrten wurde er im März 2019 von einer Kontrolleinheit des Zolls kontrolliert. Zuletzt fiel das Fahrzeug in Deutschland wegen eines Verstoßes gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften im Oktober 2020 auf. Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 13.5.2019 setzte das Hauptzollamt rund 4.000 EUR Zoll und rund 8.500 EUR Einfuhrumsatzsteuer gegen den Kläger fest. Zur Begründung gab es an, dass der Kläger das Fahrzeug entgegen seiner Pflicht aus Art. 139 UZK nicht an der ersten Zollstelle im Unionsgebiet gestellt habe. Daher sei das Fahrzeug vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht worden, sodass eine Einfuhrzollschuld gem. Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK entstanden sei.
Entscheidung
Im Hinblick auf Transportmittel haben bereits verschiedene deutsche Finanzgerichte die bisherige Rechtsprechung des EuGH so verstanden, dass Transportmittel in dem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union eingehen, in dem sie erstmals tatsächlich als Transportmittel verwendet werden. Sie werden zwar nicht im Sinne der Randnummer 44 des Urteils EuGH, Urteil v. 10.7.2019, C-26/18 (Federal Express) "verbraucht". Sie werden aber "gebraucht", was ein notwendiges Zwischenstadium zum Verbrauch darstellt. Vor diesem Hintergrund würde das FG zu dem Ergebnis kommen, dass das Fahrzeug des Klägers in Bulgarien in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen ist, weil es dort erstmals innerhalb der Union als Transportmittel benutzt wurde. Daher wäre dort der Ort der Einfuhr i. S. v. Art. 60 MwStSystRL.
An diesem Rechtsverständnis ergeben sich für das FG allerdings aufgrund des Urteils EuGH, Urteil v. 3.3.2021, C-7/20, Zweifel. Vor diesem Hintergrund ersucht das FG den EuGH um Klarstellung, ob es den Gerichtshof richtig verstanden hat, dass die Nutzung eines Fahrzeugs als Transportmittel für die Zwecke der Durchfahrt durch einen Mitgliedstaat nicht bereits in diesem Mitgliedstaat, sondern erst im Wohnsitzmitgliedstaat des Fahrzeugführers zum Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Union führt.
Hinweis
Unterm Strich ist das vorlegende FG Hamburg der Ansicht, dass im Ausgangsverfahren das Fahrzeug bereits in Bulgarien benutzt wurde und dadurch erstmalig dort in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen ist. Denn der Kläger hat das Fahrzeug tatsächlich für die Durchfahrt durch Bulgarien benutzt.
Das FG hat noch eine weitere Frage an den EuGH gerichtet. Nach Art. 87 Abs. 4 UZK wird das Entstehen einer Zollschuld fingiert. Es stelle sich daher die Frage, ob diese Vorschrift gem. § 21 Abs. 2 UStG auch auf die Einfuhrumsatzsteuer angewendet werden kann oder ob dies gegen die Mehrwertsteuersystemrichtlinie verstößt (insbesondere gegen Art. 30 MwStSystRL und Art. 60 MwStSystRL). Diese Frage war dem EuGH bereits durch das FG Düsseldorf gestellt worden (vgl. FG Düsseldorf, Beschluss v. 11.12.2019, 4 K 473/19 Z, EU), blieb jedoch in seiner Entscheidung EuGH, Urteil v. 3.3.2021, C-7/20, unbeantwortet.
Link zur Entscheidung
FG Hamburg, Beschluss v. 02.06.2021, 4 K 130/20