Leitsatz
Ortskundeprüfungen für angehende Taxifahrer sind bei richtlinienkonformer Auslegung des § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG als Schulungsmaßnahme mit direktem Bezug zu einem Beruf steuerfrei.
Normenkette
§ 4 Nr. 22 Buchst. a UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. i EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 44 MwSt-DVO
Sachverhalt
Der Kläger ist ein nicht gemeinnütziger Berufsverband in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Im Jahr 2012 (Streitjahr) führte er die Ortskundeprüfungen durch, deren Bestehen die Bewerber um eine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen gemäß § 48 Abs. 4 Nr. 7 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung) in der im Streitjahr geltenden Fassung (FeV) der für die Fahrerlaubnis zuständigen Behörde nachzuweisen hatten. Nach den im Streitjahr geltenden Ausführungsvorschriften zu § 48 FeV zur Durchführung der Ortskundeprüfung für Taxi-, Mietwagen- und Krankenkraftwagenfahrer (Ortskundeprüfungsrichtlinien) des Landes Berlin war die Prüfung vor einem Prüfungsausschuss abzulegen, der von den Berufsverbänden zu bilden war und dem u.a. ein Vertreter des Klägers angehörte. Der Bewerber hatte für die Durchführung der Ortskundeprüfung eine Gebühr an die mit der Ortskundeprüfung betrauten Organisationen, u.a. an den Kläger, zu entrichten. Das FA sah hierin eine steuerpflichtige Leistung. Einspruch und Klage zum FG blieben ohne Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.2.2017, 2 K 2033/15, Haufe-Index 11246133, EFG 2018, 582).
Entscheidung
Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und gab der Klage statt.
Hinweis
1. § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG erfasst Vorträge, Kurse und andere Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, von Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien, von Volkshochschulen oder von Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken oder dem Zweck eines Berufsverbandes dienen, durchgeführt werden, wenn die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden.
Die Vorschrift ist entsprechend Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL richtlinienkonform auszulegen. Daher muss es sich bei den nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG steuerfreien Vorträgen, Kursen und anderen Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art um die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung oder berufliche Umschulung handeln. Erforderlich ist hierfür, dass sich die einzelnen Vorträge, Kurse und anderen Veranstaltungen auf einen der Bereiche der Erziehung, des Unterrichts, der Aus- oder Fortbildung oder der Umschulung beziehen.
2. Nach Art. 44 Satz 1 MwSt-DVO umfassen die Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahme, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dient. Die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung ist hierfür unerheblich (Art. 44 Satz 2 MwSt‐DVO).
3. Ortskundeprüfungen, deren Bestehen nach § 48 Abs. 4 Nr. 7 Satz 1 FeV in der bis einschließlich 1.8.2021 geltenden Fassung für den Erwerb der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen erforderlich war (Art. 4 Nr. 2 Buchst. a, Art. 7 Abs. 3 des Gesetzes zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts vom 16.4.2021, BGBl I 2021, 822), sind eine Schulungsmaßnahme mit direktem Bezug zu einem Beruf i.S.v. Art. 44 MwSt‐DVO. Denn sie stellten den Schlusspunkt und notwendigen Bestandteil einer Schulungsmaßnahme zum Beruf des Taxifahrers dar.
Ohne den Nachweis der bestandenen Ortskundeprüfung konnte die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen nicht ausgestellt und der Beruf des Taxifahrers ohne derartige Fahrerlaubnis nicht ausgeübt werden. Wäre die Steuerbefreiung für den notwendigen Schlusspunkt einer erfolgreichen Schulungsmaßnahme zu versagen, nähme dies der Steuerbefreiung für die Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung ihre Wirkung. Es widerspräche dem Grundsatz der Neutralität und würde die mit dieser Steuerbefreiung bezweckte Förderung bestimmter Tätigkeiten beschränken, wenn in einem solchen Fall die Steuerbefreiung der Prüfungsleistung davon abhinge, dass ein und derselbe Anbieter die Schulungsmaßnahme und die Prüfung durchführen muss. Hierfür spricht auch, dass der Unternehmer bei leistungsbezogenen Befreiungsmerkmalen in der Lage sein muss, das Organisationsmodell zu wählen, das ihm am besten zusagt, ohne Gefahr zu laufen, dass seine Umsätze von der Steuerbefreiung ausgeschlossen werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 30.6.2022 – V R 32/21 (V R 31/17)