Unterscheidung zwischen Tatsachen und Rechtsfragen: Eine Mitwirkungspflicht des U aus § 153 Abs. 4 AO n.F. setzt nach dessen Wortlaut zunächst voraus, dass es sich bei der Bewertung der Immobilie als AfA-Bemessungsgrundlage um einen Sachverhalt, also eine Tatsache, handelt. Die zutreffende Kaufpreisaufteilung zwischen dem Kaufpreisanteil für ein Grundstück und dem Kaufpreisanteil für die Immobilie ist in der Praxis oftmals umstritten und aufgrund der komplexen Bewertungsverfahren für Immobilien ist es nicht sofort einsichtig, dass die jeweilige Bewertung eine bloße Tatsache und keine Rechtsfindung sein soll. Andererseits kann der Einfluss wertender Elemente in manchen Fällen der Qualifizierung als Sachverhalt nicht entgegenstehen, weil wertende Elemente (die Rechtsfindung) notwendigerweise mit einer Sachverhaltsfeststellung verbunden sein können.
Tatsächliche Verständigung: Zwar darf eine tatsächliche Verständigung keine Rechtsfragen, sondern nur Fälle erschwerter Sachverhaltsermittlung zum Gegenstand haben (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 118 AO Rz. 10 [8/2021]). Der Begriff des Sachverhalts wird jedoch weit gefasst, weil hierzu auch Fälle der Schätzung und Wertermittlung gehören können. Raum für tatsächliche Verständigungen besteht daher insbesondere dann, wenn ein Schätzungs-, Bewertungs-, Beurteilungs- oder Beweiswürdigungsspielraum besteht. Insbesondere wird in der Praxis auch eine Verständigung über Rechtsfragen toleriert, wenn diese in einem so engen Zusammenhang mit Tatsachen stehen, dass sie sachgerechterweise nicht auseinandergerissen werden können (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 118 AO Rz. 11 [8/2021]). Eine klare Trennung zwischen Tatsachen und Rechtsfragen ist daher im Steuerrecht nicht immer möglich. Daher sollte der beratende Rechtsanwender für eine sichere Rechtsanwendung berücksichtigen, dass die Neuregelung des § 153 Abs. 4 AO von einem Gericht künftig möglicherweise nicht allein auf bloße Tatsachen beschränkt werden wird.
Die Gesetzgebungsmaterialien zu Abs. 4 n.F. nennen als ein Beispiel sogar ausdrücklich die Feststellung des gemeinen Wertes gem. § 157 ff. BewG (Gesetzesentwurf v. 19.9.2022, BT-Drucks. 20/3436, 87). Offensichtlich problematisiert der Gesetzgeber die Unterscheidung zwischen Sachverhalten und Rechtsfindung nicht weiter. Insbesondere geht er nicht weiter auf die Problematik ein, ob und wann es sich bei einer Bewertung um eine Sachverhalts- oder eher um eine Rechtsfrage handelt.
Nach hier vertretener einschränkender Ansicht ist die rechtliche Schlussfolgerung (Rechtsfindung) jedenfalls dann kein Sachverhalt i.S.d. Abs. 4 AO n.F., wenn die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Bewertung gegenüber dem Sachverhaltskern deutlich im Vordergrund stehen (z.B., weil die Beantwortung der Rechtsfragen nicht auf der Hand liegt).
Beraterhinweis Risikominderung: Möchte der beratende Rechtsanwender im oben genannten Beispiel Risiken vermeiden, so wird er unterstellen, dass es sich um einen Sachverhalt i.S.d. Abs. 4 handelt. Hierfür spricht umso mehr, je einfacher die Bewertung der Immobilie vorzunehmen ist: Liegt die zutreffende Bewertung der Immobilie offensichtlich einfach auf der Hand, so tritt die rechtliche Bewertung in den Hintergrund und der Charakter der Bewertung nähert sich umso mehr einem Sachverhalt an.
Nämlicher Sachverhalt: Weiterhin ist im obigen Beispiel auch die Voraussetzung erfüllt, dass es sich um den nämlichen Sachverhalt handelt, weil es in den Folgejahren um dieselbe Immobile geht. Im Ergebnis wird der Berater daher eine Mitwirkungspflicht des U vorsorglich annehmen und ihn auf die mangels Rechtsprechung ungeklärte Rechtslage hinweisen.
Ergebnis: Wenn dieser sicheren Ansicht gefolgt wird, so trifft U ab dem Eintritt der formellen Bestandskraft der Bescheide für 2020-2022 die unverzügliche Mitwirkungspflicht aus Abs. 4 für das Jahr 2023, so dass er den AfA-Ansatz für 2023 berichtigen muss. Für den Steuerberater selbst kann eine solche Pflicht aus Abs. 4 nur ausnahmsweise bestehen, wenn er gesetzlicher Vertreter gem. § 34 AO oder Verfügungsberechtigter gem. § 35 AO ist oder sonst als Garant anzusehen ist.