[Ohne Titel]
RA/FAStR Thomas Wenzler
Der Tatbestand der Steuergefährdung nach § 379 AO ist keineswegs neu, wird aber gerade von der Finanzverwaltung neu entdeckt. In den sozialen Medien ist im Zusammenhang mit technischen Sicherungseinrichtungen für elektronische Registrierkassen von einer Renaissance der Vorschrift die Rede.
1. Der Fall
Die A GmbH betreibt einen Großhandel mit Produkten, die sie in erster Linie Gewerbetreibenden anbietet, aber auch Privatkunden verkauft.
Regelmäßig baten Gewerbetreibende darum, dass der Gesamtrechnungsbetrag im Verhältnis 70/30 aufgeteilt wird, und zwar mit der Behauptung, der kleinere Teil des Einkaufs werde privat verwendet, was angesichts der Art und Anzahl der gekauften Produkte nicht stimmen konnte. In diesen Fällen wurden dann 70 % des Einkaufs gegen das Kundenkonto des Gewerbetreibenden gebucht und die restlichen 30 % als Barverkauf auf einem für die Einkäufe von Privatkunden vorgesehenen Konto gebucht.
Im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen eine gewerbliche Kundin leitet das zuständige Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung auch gegen die Geschäftsführer der A GmbH Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ein. Im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen werden bei der A GmbH umfassend Daten gesichert.
2. Strafbares Rechnungssplitting
Die Geschäftsführer waren zunächst überrascht, dass Rechnungssplitting strafbar sein soll. Das ist es aber (statt vieler: Heuel in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1207 m.w.N.). Im Ergebnis konnten die Ermittlungsverfahren gegen sie nach § 153a StPO beendet werden.
Haftungsgefahr: Eine Haftung der A GmbH nach § 70 AO bzw. der Geschäftsführer nach § 71 AO war nicht zu prüfen, weil die Kundin in der glücklichen Lage war, die Mehrsteuern zu zahlen. Je nach Produkt und Umfang der Lieferbeziehung kommen unter Einbeziehung der Umsatzsteuer schnell mittlere sechsstellige, zuweilen auch Millionenbeträge zusammen, die der Großhändler nicht zahlen kann. Im Fall einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung ist dann auch die Restschuldbefreiung unter den Voraussetzungen der § 37 Abs. 1 AO, § 302 Nr. 1 InsO ausgeschlossen.
3. Einstellung des Strafverfahrens – aber ruinöse Ordnungsstrafe?
Nicht ordnungsgemäße Buchführung: Damit war der Fall aber – leider – nicht zu Ende. In dem sichergestellten Datenmaterial wurden seitens der Steuerfahndung weitere Geschäftsvorfälle im Sinne eines Rechnungssplittings gefunden. Ein Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 379 AO i.V.m. § 144 AO wurde eingeleitet, weil der Warenausgang nicht ordnungsgemäß aufgezeichnet worden sei. Es seien Verkäufe an gewerbliche Kunden erfolgt, ohne dass Name, Firma und Anschrift des Abnehmers aufgezeichnet wurden.
Keine Gesamtstrafenbildung im Ordnungswidrigkeitenrecht: Die Steuerfahndung legte hierzu mündlich im Rahmen der Erörterung der Einstellung der Strafverfahren nach § 153a StPO Berechnungen dar, wonach jeder der beiden Geschäftsführer Bußgelder in einer Höhe von insgesamt 400.000 EUR hätte zahlen müssen. Insoweit ist zu beachten, dass, anders als im Strafrecht, im Ordnungswidrigkeitenrecht eine Gesamtstrafenbildung nicht stattfindet, sondern nach § 20 OWiG eine jede Ordnungswidrigkeit gesondert geahndet wird. Auch das kann den Betroffenen in den Ruin treiben.
4. Verteidigung in der "Zwickmühle"
Aus Sicht der Verteidiger war sehr genau zu überlegen, wie man auf diesen Vorstoß der Steuerfahndung reagiert. Einerseits galt es, die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO im noch laufenden Ermittlungsverfahren nicht zu gefährden, auch ansonsten nicht zu eskalieren und insb. weitere Ermittlungen wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehungen weiterer Kunden möglichst auszuschließen. Andererseits war der Betrag von jeweils 400.000 EUR von den Geschäftsführern nicht, jedenfalls nicht ohne weiteres zu finanzieren.
5. Unternehmensgeldbuße als "kleineres Übel"
Vorgeschlagen wurde von der Verteidigung dann eine Unternehmensgeldbuße nach § 30 Abs. 4 OWiG i.H.v. 480.000 EUR und die Einstellung der Strafverfahren nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage von jeweils 30.000 EUR. Das wurde von der Bußgeld- und Strafsachenstelle akzeptiert. Und auch der Aufteilung der Unternehmensgeldbuße in einen Abschöpfungs- und einen Ahndungsteil im Verhältnis 90 % zu 10 % wurde zugestimmt.
Eine Aufteilung der Unternehmensgeldbuße ist nach § 17 Abs. 4 OWiG grundsätzlich möglich (BGH v. 27.4.2022 – 5 StR 278/21, wistra 2022, 344). Der Abschöpfungsanteil ist dann nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 8 EStG steuerlich abzugsfähig (BVerfG v. 23.1.1990 – 1 BvL 4/87, BVerfG v. 23.1.1990 – 1 BvL 4/87, 1 BvL 5/87, 1 BvL 6/87, 1 BvL 7/87, BVerfGE 81, 228 = BStBl. II 1990, 483; BGH v. 25.4.2005 – KRB 22/04, NStZ 2006, 231 = wistra 2005, 384; BFH v. 7.12.2022 – I R 15/19, wistra 2023, 350; Wild, PStR 2021, 215).
Beraterhinweis Zu beachten ist, dass im Fall einer Sanktionierung der Geschäftsführer nach § 379 AO im Verwaltungsverfahren die spätere Verfolgung in einem Strafverfahren nicht ausgeschlossen ist, wie sich aus §§ 84, 86 Abs. 1 OWiG ergibt. Anders ist das nur, wenn § 84 Abs. 2 OWiG einschlägig i...