Freiberufler sind nicht buchführungspflichtig und ermitteln deshalb meist ihren Gewinn durch eine Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG. Diese Gewinnermittlung muss zum selben Totalgewinn führen wie die Gewinnermittlung aufgrund einer Buchführung, d. h. durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG.
Hat der seine Praxis veräußernde Freiberufler seinen Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung ermittelt, ist er zur Feststellung der für die Berechnung des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns erforderlichen Buchwerte so zu behandeln, als wäre er im Augenblick der Veräußerung zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG übergegangen. Zum Zeitpunkt der Praxisveräußerung oder -aufgabe muss eine Bilanz erstellt werden, in der das vorhandene Betriebsvermögen auszuweisen ist.
Mithilfe der Zu- und/oder Abschläge wird der laufende Gewinn im Veräußerungs- oder Aufgabejahr so korrigiert, dass der Steuerpflichtige im Gesamtergebnis Gewinne erzielt, wie er sie erzielt hätte, wenn er auch in der Zeit der Einnahmenüberschussrechnung seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt hätte.
Die – zur Vermeidung von Doppel- und Nichterfassungen von Erträgen und Aufwendungen – gebotenen Übergangskorrekturen erhöhen oder vermindern den letzten laufenden Gewinn und nicht den steuerbegünstigten Betriebsveräußerungsgewinn. Ein durch die Korrektivposten, d. h. Zu- und/oder Abschläge, entstehender Gewinn gehört also zum laufenden Gewinn, der dem regulären Steuersatz unterliegt. Eine Verteilung dieses sog. Übergangsgewinns (Saldo aus Zu- und Abrechnungen) auf 2 oder 3 Jahre kommt bei einer Praxisveräußerung oder -aufgabe – anders als bei einem freiwilligen Übergang zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich – nicht in Betracht.
Dies führt dazu, dass sich im Jahr der Betriebsveräußerung wegen der dann erforderlichen Hinzurechnungen, vor allem der noch nicht beglichenen Honorarforderungen, ein hoher laufender Gewinn ergeben kann, der infolge der Progressionswirkung des Einkommensteuertarifs mit einem verhältnismäßig hohen regulären Steuersatz zu versteuern ist. Erfolgt die Praxisveräußerung mit Wirkung vom Beginn des Wirtschaftsjahres (= Kalenderjahres), ist die Übergangsbesteuerung für dieses Wirtschaftsjahr vorzunehmen.
Gestaltungsoption
Die Verteilung der Hinzurechnungsbeträge auf 3 Jahre kann dadurch erreicht werden, dass der bisherige Praxisinhaber bereits 3 Jahre vor einer geplanten Praxisveräußerung oder -aufgabe freiwillig zur Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG übergeht.
Fraglich ist, ob eine Übergangsbesteuerung auch vorzunehmen ist, wenn ein Freiberufler nach steuerbegünstigter Praxisveräußerung seine Tätigkeit in dem für die Steuertarifermäßigung unschädlichen Umfang unter 10 % fortsetzt. Diese Frage ist sehr praxisrelevant, weil sich durch die Hinzurechnung der Honorarforderungen u. U. ein sehr hoher Übergangsgewinn ergeben kann.
Keine Übergangsbesteuerung bei Fortführung der Praxis in unschädlichem Umfang
Der 65 Jahre alte Steuerberater S verkauft seine Einzelpraxis am 1.12.2019 und erzielt dabei einen Gewinn von 250.000 EUR. Zurückbehalten werden die Honorarforderungen von brutto 59.500 EUR und die Verbindlichkeiten von 11.900 EUR. Außerdem wurden die Beziehungen zu 3 Mandanten zurückbehalten. Der darauf entfallende Umsatz liegt innerhalb der von der Rechtsprechung tolerierten 10 %-Grenze.
Die Fortsetzung der freiberuflichen Tätigkeit in unschädlichem Umfang nach steuerbegünstigter Praxisveräußerung löst m. E. keine Übergangsbesteuerung aus. Forderungen und Verbindlichkeiten sind keine wesentlichen Betriebsgrundlagen. Wird der Steuerpflichtige nach der steuerbegünstigten Betriebsveräußerung unter Einsatz des bei der Veräußerung zurückbehaltenen (nicht wesentlichen) Betriebsvermögens weiterhin der Art nach wie bisher tätig, begründet er nach der Rechtsprechung keinen anderen Betrieb, sondern führt seinen bisherigen, wenn auch in geringerem Umfang fort.
Forderungen und Verbindlichkeiten bleiben Restbetriebsvermögen
Die zurückbehaltenen Forderungen oder Verbindlichkeiten können dann Restvermögen des bisherigen Betriebs bleiben. Das bedeutet, dass zum Zeitpunkt der Praxisveräußerung keine Übergangsbesteuerung erforderlich ist. Hinsichtlich der Honorarforderungen wird erst im Zeitpunkt des Zuflusses ein Gewinn realisiert, die Verbindlichkeiten wirken sich, soweit es sich um Betriebsausgaben handelt, erst im Zeitpunkt der Bezahlung gewinnmindernd aus.
Zurückbehaltene Forderungen im Rahmen einer Praxiseinbringung
Die Einbringung eines Betriebs (oder Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils) in eine Personengesellschaft gegen die Gewährung von Gesellschaftsrechten i. S. v. § 24 UmwStG, die zu gemeinen Werten erfolgt, stellt einen spezialgesetzlich geregelten Fall der Betriebsveräußerung (bzw. Teilbetriebsveräußerung oder Veräußerung eines Mitunternehmeranteils) i. S. v. § 16 EStG dar. F...