Leitsatz
Die Neuregelung der Bemessungsgrundlage in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1999 durch das EURLUmsG vom 9.12.2004 (BGBl I 2004, 3310) gilt mit Wirkung vom 1.7.2004. Soweit sich das zuvor erlassene BMF-Schreiben vom 13.4.2004 (BStBl I 2004, 468) als "Interpretation" des bisherigen Kostenbegriffs in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1999 a.F. Rückwirkung auf davor liegende "offene" Besteuerungszeiträume beilegt, gibt es dafür keine Rechtsgrundlage.
Normenkette
§ 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1999, Art. 6 Abs. 2 und Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-RL
Sachverhalt
Die Klägerin errichtete im Jahr 2001 (Streitjahr) in einem Gewerbegebiet ein Einfamilienhaus. Dieses bewohnte sie zum Teil selbst; Teile davon vermietete sie gewerblich – und umsatzsteuerpflichtig – an ein Bauunternehmen und ordnete das gesamte Gebäude dem Unternehmen zu. Das FA wollte den privaten Nutzungsanteil nicht entsprechend der einkommensteuerrechtlichen AfA, sondern mit den Kosten – entsprechend der Neuregelung – besteuern.
Die Klage hatte Erfolg.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA zurück. Die Gründe ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Für bis zum 1.7.2004 angeschaffte oder hergestellte Gebäude verbleibt es bei der günstigen Regelung: die Kosten der privaten Nutzung eines dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes, das zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt hat, sind unter Verteilung der maßgeblichen Herstellungskosten auf 50 Jahre zu ermitteln.
Hinweis
Seit dem EuGH-Urteil "Seeling" steht fest: Der Unternehmer kann auch ein geringfügig unternehmerisch genutztes privat genutztes Einfamilienhaus seinem Unternehmen zuordnen. Der "Eigenverbrauch" wurde nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a.F. UStG 1999 bemessen nach den bei der Ausführung dieser Umsätze entstandenen Kosten, soweit sie zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt. Der Begriff "Kosten" i.S.d. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1999 war bisher i.S.d. der einkommensteuerrechtlichen jährlichen AfA (2 %) verstanden worden. Das EuGH-Urteil "Seeling" hatte deshalb wegen des nur 10-jährigen Vorsteuer-Berichtigungszeitraums zu einer erheblichen Ungleichbehandlung von Nichtunternehmern und Unternehmern geführt, die der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG n.F. beseitigt hat.
Der EuGH hatte zwar im Urteil vom 14.9.2006, Rs. C-72/05 – Wollny – (BFH-PR 2006, 444) entschieden, die 6. EG-RL erlaube auch die Verteilung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten auf den Vorsteuer-Berichtigungszeitraum. Dies sei jedoch nicht zwingend. Die Mitgliedstaaten hätten insoweit einen Ermessensspielraum; auch die bisherige Anknüpfung an die AfA sei mit der RL vereinbar. Der Gesetzgeber hat danach zwar reagiert, aber die Anwendung der Neuregelung ausdrücklich (nur) für die Zeit ab 1.7.2004 vorgesehen. Nicht nur dies, sondern auch die Änderung der Wortwahl ("Ausgaben" statt "Kosten") sprach für die Annahme, dass der Gesetzgeber bewusst eine Neuregelung vornehmen wollte. Müßig zu spekulieren, ob es auch anders hätte sein können. Unter diesen Voraussetzungen konnte der Versuch der Finanzverwaltung, durch den BMF-Erlass vom 13.4.2004 (BStBl I 04, 468) für alle noch offenen Fälle die Neuregelung zu retten, nicht zum Erfolg führen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.4.2007, V R 56/04