Dipl.-Ök. Wolfram Bartuschka
5.1 Vorgehen
Am Beginn des Process Minings geht es zunächst darum, Verständnis für das Geschäftsmodell zu erwerben. Dabei steht im Vordergrund hypothesenbasiert mögliche Anwendungsfälle (Use cases) und zu erreichende Verbesserungen zu definieren. In einem zweiten Schritt ist es dann erforderlich ein gewisses Grundverständnis für den zu analysierenden (Teil-)prozess zu erwerben. Dazu gehört es, neben den verschiedenen Aktivitäten vor allem daran beteiligte Systeme, Prozessbeteiligte zu definieren und ein erstes Verständnis für die im Prozess verarbeiteten Daten zu bekommen. Im dritten Schritt wird dann das Datenmodell des Eventlogs basierend auf den zur Verfügung stehenden Daten in den Systemen erstellt. Dabei ist auch der eineindeutige Prozessindikator definiert. Anschließend werden die Daten entweder aus den Systemen heruntergeladen bzw. entsprechende Extraktoren erstellt, die die Daten aus den Vorsystemen in Echtzeit nutzen, um das Eventlog zu befüllen. Im letzten Schritt erfolgt dann die eigentliche Analyse der Daten in den Process Mining Systemen.
Im Ergebnis zeigt sich zunächst oft sehr deutlich, wie die tatsächlich in den Systemen abgebildeten Prozesse von dem gedachten Soll abweichen. Siehe dazu die nachfolgende Grafik.
Gegenüberstellung der Soll Prozesse mit der Realität
Als klassisches erstes Bild wird häufig ein sog. Spaghetti-Diagramm genutzt, das aufzeigt, wie viele Prozessvarianten in einem Unternehmen auftreten. Aber die unterschiedlichen Process Mining Systeme lassen zahlreiche Analysen möglich werden, mit denen sich Prozesse hinsichtlich ihrer Ablaufzeit, ihrer in ihnen abgebildeten Werte analysieren lassen oder auch aufgezeigt werden kann, wo es zu Problemen etwa durch wiederholtes Durchlaufen von Prozessschleifen kommen kann.
Typisches Dashboard zur Prozessanalyse
5.2 Anwendungsbeispiele
Zu den typischen Anwendungsbeispielen des Process Mining zählen u. a. Analysen der Abläufe im Kundendienst hinsichtlich Geschwindigkeit der Abarbeitung, Fehlerquoten, etc. Daneben können durch die Analyse der Abläufe im Einkauf und der Finanzbuchhaltung geprüft werden, in welchen Fällen von den vorgegebenen Abläufen inklusiver interner Kontrollen abgewichen wird oder wie häufig aufgrund fehlender Angaben bestimmte Prozessschritte mehrfach durchlaufen werden müssen. Das kann intern zur Verbesserung der Abläufe verwendet werden aber auch zum Beispiel für Gespräche mit Lieferanten, soweit durch diese beispielsweise fehlerhafte Angaben zu Mehraufwand im eigenen Unternehmen führen.
Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Untersuchung der Abläufe bei der Erstellung von Jahres- und Konzernabschlüssen, um festzustellen, welche Fehler dazu führen, dass Abschlüsse nicht zeitnah zum Ende des Geschäftsjahres erstellt werden können.
Überprüfung der Prozesse zur Erstellung des Jahres- oder Konzernabschlusses
Die Prozesse zur Erstellung von Jahres- oder Konzernabschlüssen erweisen sich häufig als vergleichsweise komplex und auf eine Vielzahl von Personen bzw. Organisationseinheiten verteilt. Durch Anwendung des Process Mining auf diese Prozesse (auch Record-to-Report, "R2R" genannt) können die einzelnen Prozessschritte identifiziert und mit den einzelnen Laufzeiten und Verantwortlichen versehen werden. Anschließend kann dann in der Analyse mittels Process Mining festgestellt werden, wo z. B. aufgrund von wiederholtem Durchlaufen der gleichen Arbeitsschritte oder längere Prozessunterbrechungen, z. B. aufgrund fehlender Informationen, Prozesse ineffizient und langsam ablaufen. Projekterfahrungen zeigen, dass sich auf diese Weise eine Verkürzung der Prozesse der Abschlusserstellung um mehr als 10 Arbeitstage erreichen lassen.
Eine weitere Anwendungsmöglichkeit kann auch im Rahmen der Erstellung einer Verfahrensdokumentation gesehen werden. Auch wenn es keine explizite gesetzliche Verpflichtung zu einer Verfahrensdokumentation gibt, kann Unternehmen nur geraten werden, eine solche zu erstellen. Die Gründe hierfür liegen einerseits in der Verbesserung der betrieblichen Organisation, z. B. in der schnelleren Einarbeitung neuer Mitarbeiter bei der Übernahme betrieblicher Aufgaben von ausscheidenden Mitarbeitern, andererseits auch in der Verbesserung der Nachvollziehbarkeit der Buchhaltung. Dies ist eine wesentliche Anforderung der GoBD.
5.3 Process Mining im Rahmen von Tax Compliance Management
Als weiteres Einsatzgebiet bietet sich der Einsatz im Rahmen des Tax Compliance Management an. So können beispielsweise durch Process Mining Abweichungen bei den internen Kontrollen gegenüber dem eigentlich angedachten Prozessablauf aufgedeckt und abgestellt werden. Darüber hinaus kann das Process Mining der Einstieg in eine automatisierte Umsetzung des internen Kontrollsystems im Rahmen der Tax Compliance darstellen.
Einsatz von Process Mining im Rahmen von Tax Compliance, hier am Beispiel der Umsatzsteuer
Die...