Prof. Dr. Rebecca Bulander, Alexander Richter
1.1 Grundsätzliche Möglichkeiten
Die Digitalisierung wurde in Deutschland bisher vor allem unter dem Schlagwort"Industrie 4.0" vorangetrieben, wobei der Fokus auf der Vernetzung und dem Einsatz digitaler Technologien in der industriellen Produktion und Wertschöpfung lag. Diesen Blickwinkel gilt es jedoch massiv zu erweitern und jegliche Felder des Wirtschaftens sowie Branchen in Zukunft zu betrachten. In den USA konzentrierten sich die Unternehmen von Anfang an auf das"Internet of Things", so dass amerikanische Unternehmen das Thema hinsichtlich der Branchen bereits viel breiter als in Deutschland angegangen sind.
Der Einsatz von digitalen Technologien in der Produktion ermöglicht damit auch die Produktion der Losgröße 1, d. h. von personalisierten Produkten zum Preis einer Massenproduktion. So wird mittlerweile z. B. auch in der Pharmaindustrie von der Herstellung von individuell auf eine Person zusammengestellten Medikamenten gesprochen, aber selbst auch im Bereich der Lebensmittelindustrie ist das Drucken von individuell auf einen Kunden personalisierten Pralinenschachteln in einer Konditorei mittlerweile vorstellbar.
Möglich wird dies alles durch das Zusammenspiel neuer Technologien, der zunehmenden Bedeutung von softwarebasierten Services, Big Data, sinkender Kosten für Hardware, Cloud Computing, Künstlicher Intelligenz und neuer Geschäftsmodelle. Doch welche besondere Rolle spielen softwarebasierte Services? Software
- ist bedingt körperlos bzw. immateriell,
- ist theoretisch unendlich duplizierbar;
- kann durch Services global verfügbar gemacht werden und
- unterliegt keinem typischen Alterungsprozess durch Nutzung und Verschleiß, wie z. B. eine Maschine oder Anlage.
Viele Gegenstände und Anwendungen konnten mithilfe von Software und Sensoren schon um etliche Funktionen erweitert werden. Natürlich lässt sich nicht immer alles bewerkstelligen, aber die bestehenden Möglichkeiten sind groß und vielfältig.
Funktionserweiterung bei Smartphones
Eines der prägnantesten Beispiele in diesem Bereich sind unsere Smartphones, die mittlerweile viele Menschen täglich mit sich herumtragen und vielfältig einsetzen. Aus einem einfachen Mobiltelefon zum Telefonieren und zu Beginn einfachen Austausch von Nachrichten via SMS, haben sich kleine handliche, relativ robuste, leistungsstarke Geräte entwickelt, die viele bisherigen Produkte teilweise gänzlich für den einfachen Nutzungsbereich ersetzen. Zahlreiche Zusatzfunktionen zum ursprünglichen Mobiltelefon konnten mithilfe von Sensoren und Aktoren sowie Software als zusätzliche Services hinzugefügt werden. Mit Apps können diese Zusatzfunktionen leicht installiert oder deinstalliert werden.
Dieses Prinzip gilt es auf andere Bereiche in der Wirtschaft zu übertragen und u. U. durch weitere Aspekte wie den Aufbau eines ganzen Ökosystems zu erweitern. So kauft ein Kunde heutzutage nicht nur ein Smartphone mit den Installationsmöglichkeiten aller der oben genannten Apps, sondern erwirbt auch gleichzeitig einen Zugang zu einem umfassenden Ökosystem mit z. B. Medienportal, Webshop mit Marktplatz, vielfältigen Erweiterungen zu Speichermöglichkeiten sowie Sicherheitsangeboten. In diesem Fall spricht man von einem Produkt-Service-System. Das eigentliche Produkt, das Smartphone, wurde um Services erweitert. Dadurch entsteht ein neues System, bestehend aus einer Produktkomponente, dem Mobiltelefon, und einer Servicekomponente, den softwarebasierten Apps.
1.2 Neue Kunden-Lieferanten-Beziehung
Bei den Kunden ändert sich im Rahmen der digitalen Transformation auch etwas. So steigen die Ansprüche der Kunden hinsichtlich der Wahrnehmung der Angebote und auch der Problemlösung. Bisher kauften Kunden ein Produkt, um damit ein bestehendes Problem bzw. eine Aufgabe zu lösen – auch "Jobs-to-be-done" genannt. Heutzutage werden hingegen, wenn möglich, integrierte Dienstleistungen angeboten, die dem Kunden bei der Lösung der Aufgabe helfen, ohne dass er dazu notwendigerweise das Produkt erwerben muss. Ein Beispiel hierzu bietet die Firma KAESER KOMPRESSOREN SE an. Produktionsunternehmen, die in der Fertigung Druckluft benötigen, müssen zur Erzeugung einen Druckluftkompressor kaufen. Um das richtige Kompressorenmodell auszusuchen, muss der Produktionsleiter wissen, wie viel Druckluft zu welcher Zeit gleichzeitig benötigt wird. Anschließend muss der Kompressor angeschlossen und die Mitarbeiter geschult werden, und es müssen regelmäßig Wartungs- und Servicearbeiten durchgeführt werden. Wenn sich der Bedarf an Druckluft stark ändert, oder der Kompressor repariert oder ausgetauscht werden muss, mussten sich bisher die Mitarbeiter eines Unternehmens selbst kümmern. Alles, obwohl das Unternehmen eigentlich nur Druckluft in der Fertigung verbrauchen will.
Heutzutage bietet die KAESER KOMPRESSOREN ein Modell an, bei dem die Druckluft nach dem Verbrauch abgerechnet wird – wie Strom aus der Steckdose. Um alles andere kümmert sich KAESER KOMPRESSOREN:
- der Bedarf an Druckluft wird bestimmt,
- ein passender Druckluftkompressor wird beim Kunden installiert und in Betrieb genommen,
- de...