Dipl.-Psych. Julia Scharnhorst
Häufig wird zur Beschreibung psychischer Belastungen auch der Begriff "Stress" gebraucht. Der Begriff Stress wird unterschiedlich verwendet. Im Alltagssprachgebrauch meint jemand, der "im Stress ist", dass er viel zu tun und wenig Zeit hat. Häufig verstehen wir dann auch, dass sich jemand erschöpft oder gereizt fühlt. Manchmal wird von Stress auch gesprochen, wenn Eile gemeint ist: "Mach dir keinen Stress, wir haben Zeit." Wer "Stress mit seinem Kollegen" hat, befindet sich in einer Konfliktsituation. Der Begriff umschreibt in der Umgangssprache also sowohl mögliche Auslöser, als auch deren negative Folgen auf die betroffene Person. Wir verwenden den Begriff ziemlich inflationär, häufig lässt sich nur aus dem Zusammenhang erkennen, was genau gemeint ist.
Von der Wissenschaft erwarten wir genauere Definitionen. Hier wird unterschieden zwischen dem Stressor als dem auslösenden Belastungsfaktor und dem Stress, mit dem der Zustand gemeint ist, in den jemand in der Folge geraten kann. Es gibt mehrere wissenschaftliche Stressmodelle. In der Werkstoffkunde beschreibt der Begriff den Zug oder Druck auf ein Material. In der Psychologie sind vor allem zwei Stresskonzepte aktuell: das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept und das transaktionale Stressmodell. Je nachdem, welches Modell man zugrunde legt, ergeben sich daraus unterschiedliche Ansätze für Maßnahmen zur Stressvermeidung oder zum Stressabbau in der Arbeitswelt.
2.1 Belastungs-Beanspruchungs-Konzept
Psychische Belastungen beschreiben in diesem Konzept alle äußeren Einflüsse, die auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken. Die psychische Beanspruchung ist die individuelle Auswirkung der Belastungen im Menschen (s. Norm DIN EN ISO 10075-1). Die Beanspruchung hängt von seinen individuellen Voraussetzungen und seinem Zustand ab. Da Belastungen von Menschen unterschiedlich verarbeitet werden, können gleiche Belastungen zu unterschiedlicher Beanspruchung bei verschiedenen Personen führen. Das Belastungs-Beanspruchungs-Modell bietet damit grundsätzlich 2 Möglichkeiten, die psychische Beanspruchung zu reduzieren: Man kann
- die äußeren Belastungen verringern;
- die Fähigkeit der Menschen steigern, diesen Belastungen zu widerstehen und damit eine geringere Beanspruchung zu empfinden.
Die Kritik an diesem Modell besagt, dass Belastung und Beanspruchung nicht so eindeutig unterschieden werden können.
Zeitdruck
Nach der Definition wäre Zeitdruck eine Belastung, weil der Chef für eine Aufgabe einen engen Zeitrahmen steckt. Es wirken also äußere Bedingungen auf den Mitarbeiter ein (der drängende Chef). Andererseits nimmt die Person den Zeitdruck in sich wahr, wird vielleicht unsicher und hektisch. Damit wäre Zeitdruck auch eine Beanspruchung, da der Mitarbeiter ihn in sich spürt.
Außerdem gibt das Modell keine Erklärungen dafür, wie Belastungen verarbeitet werden und liefert wenig Ansatzpunkte für ein Stressmanagement. Im Alltagsverständnis wird man das neutral gemeinte Wort "Belastung" auch nicht als angemessen empfinden, da Stress meist als negativ gewertet wird. Der fachliche Sprachgebrauch unterscheidet sich von der Umgangssprache, was häufig zu Missverständnissen führt.
2.2 Transaktionales Stressmodell
Das transaktionale Stressmodell ist in der Psychologie seit langem akzeptiert. Es konzentriert sich auf die Entstehung von Stress und auf die psychischen Bewertungs- und Bewältigungsprozesse. Sie erklären, warum sich gleiche psychische Belastungen nicht auf alle Menschen gleich auswirken. Damit ist dieses Modell durchaus kompatibel mit dem Belastungs-Beanspruchungs-Konzept.
Der Begriff "transaktional" bezieht sich in diesem Modell auf die Beziehung zwischen der Person und ihrer Umwelt. Im Mittelpunkt des Modells steht die individuelle Bewertung von Ereignissen und Situationen (Abb. 2). Erst durch die kognitiven Bewertungen einer Person wird eine Situation stressrelevant. Durch diese Bewertungen und Einschätzungen wird bestimmt, ob die momentane Beziehung zwischen der Person und ihrer Umwelt als stressend wahrgenommen wird.
Abb. 2: Transaktionales Stressmodell (nach Lazarus)
Im transaktionalen Stressmodell wird zwischen der primären und der sekundären Bewertung der Situation durch die betroffene Person unterschieden (Abb. 2). In der primären Bewertung geht es um die Einschätzung der Situation hinsichtlich des eigenen Wohlbefindens. Die (unbewusste) Fragestellung wäre hier: "Was kann mir passieren? Wie wird es mir gehen?".
Die Einschätzung der primären Bewertung könnte als Ergebnis haben:
- Bedrohung – es könnte eine unangenehme Situation oder eine Schädigung eintreten;
- Schädigung oder Verlust – es ist bereits eine unangehme Situation oder Schädigung eingetreten;
- Herausforderung – es könnte eine Schädigung eintreten, aber die positiven Folgen stehen stärker im Vordergrund.
Die sekundäre Bewertung bezieht sich darauf, welche Bewältigungsmöglichkeiten für diese möglicherweise stressauslösende Situation vorhanden sind. Jetzt werden die Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Bewältigung der Situation eingeschätzt. Die Fragestellung wäre hier:...