Dipl.-Psych. Julia Scharnhorst
Das transaktionale Stressmodell ist in der Psychologie seit langem akzeptiert. Es konzentriert sich auf die Entstehung von Stress und auf die psychischen Bewertungs- und Bewältigungsprozesse. Sie erklären, warum sich gleiche psychische Belastungen nicht auf alle Menschen gleich auswirken. Damit ist dieses Modell durchaus kompatibel mit dem Belastungs-Beanspruchungs-Konzept.
Der Begriff "transaktional" bezieht sich in diesem Modell auf die Beziehung zwischen der Person und ihrer Umwelt. Im Mittelpunkt des Modells steht die individuelle Bewertung von Ereignissen und Situationen (Abb. 2). Erst durch die kognitiven Bewertungen einer Person wird eine Situation stressrelevant. Durch diese Bewertungen und Einschätzungen wird bestimmt, ob die momentane Beziehung zwischen der Person und ihrer Umwelt als stressend wahrgenommen wird.
Abb. 2: Transaktionales Stressmodell (nach Lazarus)
Im transaktionalen Stressmodell wird zwischen der primären und der sekundären Bewertung der Situation durch die betroffene Person unterschieden (Abb. 2). In der primären Bewertung geht es um die Einschätzung der Situation hinsichtlich des eigenen Wohlbefindens. Die (unbewusste) Fragestellung wäre hier: "Was kann mir passieren? Wie wird es mir gehen?".
Die Einschätzung der primären Bewertung könnte als Ergebnis haben:
- Bedrohung – es könnte eine unangenehme Situation oder eine Schädigung eintreten;
- Schädigung oder Verlust – es ist bereits eine unangehme Situation oder Schädigung eingetreten;
- Herausforderung – es könnte eine Schädigung eintreten, aber die positiven Folgen stehen stärker im Vordergrund.
Die sekundäre Bewertung bezieht sich darauf, welche Bewältigungsmöglichkeiten für diese möglicherweise stressauslösende Situation vorhanden sind. Jetzt werden die Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Bewältigung der Situation eingeschätzt. Die Fragestellung wäre hier: "Schaffe ich das?". Auch diese Bewertung findet nicht immer bewusst statt. Beide Bewertungsprozesse beeinflussen sich gegenseitig: Wenn die sekundäre Bewertung ergibt, dass sich das Ereignis gut bewältigen lässt, wird es in der primären Bewertung auch nicht als Bedrohung eingeschätzt werden. Die primäre und sekundäre Bewertung folgen also nicht zeitlich aufeinander, sondern hängen miteinander zusammen.
Nach dem transaktionalen Stressmodell ergeben sich verschiedene Ansätze zur Verminderung der individuellen Beanspruchung:
- Die Arbeitssituation kann so gestaltet werden, dass eine individuelle Belastung möglichst vermieden wird (z. B. Über- und Unterforderung).
- Die primäre Bewertung kann verändert werden, so dass eher eine Herausforderung als eine negative Situation oder eine Schädigung wahrgenommen wird. Das könnte z. B. durch eine genaue Erklärung der neuen Aufgabe und der Rahmenbedingungen zu deren Bearbeitung erfolgen. Auch der mögliche Lerngewinn sollte erklärt werden.
- Die sekundäre Bewertung könnte durch die Vermittlung der nötigen Fähigkeiten und Kompetenzen positiv gestaltet werden. Auch der Verweis auf bereits erfolgreich bewältigte ähnliche Aufgaben kann das Selbstvertrauen und die Erfolgserwartung stärken.
Die Veränderung der Arbeitssituation wird im Allgemeinen vorwiegend durch den Arbeitgeber vorgenommen werden müssen. An der Bewertung der konkreten Stress-Situation können sowohl die Führungskraft, als auch jeweils betroffene Beschäftigte mitwirken.