Leitsatz
Die Quellensteuer auf Dividenden einer deutschen Kapitalgesellschaft ist nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland nur dann auf 5 % der Dividende zu reduzieren, wenn der Nominalwert der Beteiligung mindestens 160.000 DM (81.806,70 Euro) beträgt.
Normenkette
Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland
Sachverhalt
Die Beteiligten stritten darüber, ob von einer deutschen GmbH ausgeschüttete Dividenden nach dem DBA-Russland einer Quellenbesteuerung von 5 % oder von 15 % unterliegen.
Die Klägerin, eine russische Kapitalgesellschaft, war in den Streitjahren (1996 bis 1998) an der deutschen R-GmbH beteiligt. Das Stammkapital der R-GmbH belief sich auf 150.000 DM, der Anteil der Klägerin hieran auf 70.005 DM.
Die R-GmbH schüttete in den Jahren 1997 bis 1999 für die Streitjahre Gewinne an die Klägerin aus. Sie behielt von den Ausschüttungen jeweils Kapitalertragsteuer ein und führte die Abzugsbeträge an das FA ab.
Auf einen Antrag der Klägerin hin erließ das BfF Freistellungsbescheide, in denen es davon ausging, dass die Ausschüttungen der R-GmbH nur mit 15 % zu besteuern seien. Die Klägerin begehrte eine weitere Reduktion auf 5 %.
Die Klage blieb erfolglos (EFG 2003, 1174).
Entscheidung
Der BFH schloss sich dem an. Ausschlaggebend sei die Nominalbeteiligung der Klägerin an der R-GmbH. Da diese die Mindestbeteiligung von 160.000 DM nicht erreicht habe, sei die Quellensteuer nur auf 15 % herabzusetzen.
Hinweis
1. Das Urteil hat für die tägliche Beratungspraxis in seinem Kernstreitpunkt sicherlich keine sonderliche Bedeutung und kann lediglich in seinen Verfahrensabläufen als "Muster" für andere Auslandsbeteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften dienen:
a) Schüttet eine deutsche GmbH an ihren russischen Anteilseigner Dividenden aus, werden inländische Kapitalerträge im Sinn des § 43 Abs. 3 EStG erzielt, die der Kapitalertragsteuer unterliegen (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 EStG). Die Kapitalertragsteuer beläuft sich auf 25 % der Ausschüttungsbeträge (§ 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG) und muss von der GmbH unabhängig von den Regelungen des DBA?Russland (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG) in dieser Höhe einbehalten und abgeführt werden (§ 44 Abs. 1 EStG).
b) Der russische Anteilseigner kann jedoch eine Erstattung der von der GmbH einbehaltenen und abgeführten Beträge verlangen, soweit ihre Dividendeneinkünfte nach dem DBA-Russland in Deutschland nur einem niedrigeren Steuersatz unterworfen werden dürfen (§ 50d Abs. 1 Satz 2 EStG). Rechtsgrundlage für eine solche Erstattung ist ein Freistellungsbescheid im Sinn des § 155 Abs. 2 AO, für dessen Erlass das BfF zuständig ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 FVG).
c) Nach Art. 10 Abs. 1 DBA-Russland darf jeder Vertragsstaat Dividenden, die eine in ihm ansässige Gesellschaft an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, nach seinem Recht besteuern. Die Steuer darf aber 5 % des Bruttobetrags der Dividende nicht übersteigen, wenn der Nutzungsberechtigte eine Gesellschaft ist, die unmittelbar über mindestens 10 % des Grund- oder Stammkapitals der die Dividenden zahlenden Gesellschaft verfügt und dieser Kapitalanteil mindestens 160.000 DM oder den entsprechenden Wert in Rubeln beträgt (Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Russland). In allen anderen Fällen ist das Besteuerungsrecht dieses Staats (Quellenstaat) auf 15 % des Bruttobetrags der Dividende begrenzt (Art. 10 Abs. 1 Buchst. b DBA-Russland).
d) Der BFH hat in seinem Urteil entschieden, dass es bei dem Mindestbeteiligungswert von 160.000 DM um den Nominalwert der Beteiligung geht, nicht um den Verkehrswert. Dazu ist ansonsten nichts weiter zu sagen.
2.Beratungsrelevanter sind indes womöglich die Ausführungen des BFH auf die europarechtlichen "Ausstrahlungen" des Falls.
a) Sie betrifft die in Art. 56 EG garantierte Kapitalverkehrsfreiheit, die sich nicht nur auf Mitglied-, sondern auch auf Drittstaaten erstreckt und auch in Bezug darauf den Kapitalverkehr schützt. Dieses Freiheitsrecht steht indes seinerseits unter einem Vorbehalt: Steuergesetze der Mitgliedstaaten, die am 31.12.1993 bestanden, dürfen letztlich uneingeschränkt angewandt werden, auch wenn sie diskriminieren. Hinsichtlich der Drittstaaten gilt nicht einmal die zeitliche Begrenzung des 31.12.1993.
b) Ungeachtet dessen ist an die Meistbegünstigung zu denken: Wird ein Steuerpflichtiger steuerlich ungünstiger behandelt als ein anderer Steuerpflichtiger, der sich auf ein "günstigeres" DBA berufen kann, das mit einem anderen Staat geschlossen wurde, dann – so wird hiernach geltend gemacht – könne sich der schlechter gestellte Steuerpflichtige auf die "bessere" Behandlung berufen. Er wird eben "meistbegünstigt". Ob dieses Prinzip innerhalb der EG vorbehaltlos greift, ist höchst umstritten und derzeit unbeantwortet. Bejaht man dies, droht den Ficsi jedenfalls beträchtliches Ungemach: Die jeweils weitestreichende, steuerbürgerfreundlichste Regelung hätte für alle Geltung. Letztlich liefe das auf ein EG-weites Einheits-DBA hinaus.
c) Im Urteilsfall "entwindet" der BFH sich dieser Streitfrage (und einer ...