Leitsatz
1. § 110 Abs. 2 FGO ist dahingehend auszulegen, dass die Rechtskraft eines Urteils Vorrang gegenüber den Änderungsvorschriften der AO hat.
2. Eine Durchbrechung der Rechtskraft eines Urteils aufgrund geänderter Sachlage ist nur in engen Grenzen möglich. Sie ist insbesondere dann ausgeschlossen, wenn das Gericht im Urteil Bodenrichtwerte nicht berücksichtigen konnte, weil sie zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung trotz mehrmaliger Aufforderungen an den Gutachterausschuss nicht ermittelt wurden, aber eine solche Ermittlung nach Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung erfolgte, ohne dass für die verzögerte Bearbeitung ein sachlicher Grund erkennbar wurde.
Normenkette
§ 110 FGO
Sachverhalt
Das Land B brachte mit Wirkung zum 1.1.2001 u.a. ein Krankenhaus einschließlich Grund und Boden als Sacheinlage in die Klägerin – eine GmbH – ein. Das inzwischen im beklagten FA aufgegangene FA K stellte den gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GrEStG als Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer anzusetzenden Grundstückswert für das zum Krankenhausgelände gehörende bebaute Grundstück zum 1.1.2001 gesondert fest. Der auf Herabsetzung des Werts gerichtete Einspruch blieb erfolglos.
Das FG gab der Klage teilweise statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, es fehle zwar an einem vom Gutachterausschuss ermittelten Bodenrichtwert. Dies stehe der Feststellung eines Grundstückswerts für das zu bewertende Grundstück unter Ansatz eines Werts für den Grund und Boden aber nicht entgegen. Dieser Wert sei aber niedriger als der Ansatz im Feststellungsbescheid.
Die Revision der Klägerin vor dem BFH führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung des angefochtenen Feststellungsbescheids dahingehend, dass als Grundstückswert nur noch der Gebäudewert in bisheriger Höhe angesetzt wurde (BFH, Urteil vom 25.8.2010, II R 42/09, BFH/NV 2010, 2152, BStBl II 2011, 205). Der Wert vom Grund und Boden blieb unberücksichtigt. Der Gutachterausschuss sei seiner Verpflichtung nach § 196 BauGB nicht nachgekommen, für das Grundstück einen Bodenrichtwert zu ermitteln, und habe eine Ermittlung trotz mehrfacher Anfrage abgelehnt. In einem solchen Fall könne die Finanzverwaltung nach § 145 Abs. 3 BewG i.d.F. bis zum 31.12.2006 keine eigenen Bodenrichtwerte aus den Werten vergleichbarer Flächen herleiten. Daher sei für den Grund und Boden mangels eines festgestellten Bodenrichtwerts kein Wert anzusetzen.
Mit Feststellungsbescheid vom 15.2.2011 stellte das FA den – lediglich den Gebäudewert umfassenden – Grundbesitzwert für das Grundstück zum 1.1.2001 entsprechend dem BFH-Urteil fest.
Nach Eintritt der Rechtskraft des BFH-Urteils teilte der Gutachterausschuss dem FA mit, er habe in seiner Sitzung am 8.12.2011 über ergänzende Bodenrichtwerte für steuerliche Zwecke zum Stichtag 31.12.1995 für das Grundstück einen Bodenrichtwert in Höhe von 330 EUR/qm ermittelt.
Mit Bescheid vom 10.5.2012 änderte das FA nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO den Feststellungsbescheid vom 15.2.2011 dahingehend, dass ein Grundbesitzwert in der Höhe festgestellt wurde, den das FG in dem vom BFH aufgehobenen Urteil ermittelt hatte. Abweichend von dem durch den Gutachterausschuss ermittelten Bodenrichtwert setzte es – unter teilweiser Befolgung der Wertermittlung in einem durch die Klägerin im FG-Verfahren in Auftrag gegebenen Gutachten – für das Bauland einen Wert von 371 EUR/qm und für den Anteil Grünland einen Wert von 10 EUR/qm an. Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.1.2017, 3 K 3153/13).
Entscheidung
Der BFH hob auf die Revision der Klägerin das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Feststellungsbescheid vom 10.5.2012 auf. Die Rechtskraftwirkung des BFH-Urteils (BFH, Urteil vom 25.8.2010. II R 42/09, BFH/NV 2010, 2152, BStBl II 2011, 205) stehe einer Änderung des Feststellungsbescheids vom 15.2.2011 durch den Bescheid vom 10.5.2012 entgegen.
Hinweis
1. Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGObinden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden wurde. Die gegen eine Finanzbehörde ergangenen Urteile wirken auch gegenüber der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, der die beteiligte Finanzbehörde angehört (§ 110 Abs. 1 Satz 2 FGO). Die Änderung eines Feststellungsbescheids nach den Vorschriften der AO ist gemäß § 110 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO ausgeschlossen, soweit zu dem steuerlichen Sachverhalt, dessen steuerliche Folgen durch den Änderungsbescheid gezogen werden sollen, bereits ein rechtskräftiges Urteil mit Bindungswirkung für die Beteiligten besteht. Nach der Regelung des § 110 Abs. 2 FGO bleiben die Vorschriften der AO über die Änderung von Verwaltungsakten – wie z.B. § 175 AO – unberührt, soweit sich aus § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO nichts anderes ergibt. § 110 Abs. 2 FGO ist nach der Rechtsprechung des BFH i.S. eines Vorrangs der Rechtskraft gegenüber den Änderungsvorschriften der AO auszulegen.
2. Für den Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ist der Begriff Streit...