Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Zunächst ist vorauszuschicken, dass für die Anwendung des § 1 Abs. 2b GrEStG nur solche Anteilsübergänge zu berücksichtigen sind, die nach dem 30.6.2021 erfolgen.
Zur Ermittlung des %-Satzes ist auf das Verhältnis der Beteiligung der Neugesellschafter zu der fortbestehenden Beteiligung von Altgesellschaftern nach dem Gesellschafterwechsel abzustellen. Maßgebend ist hierfür der Anteil des einzelnen Gesellschafters am Gesellschaftskapital nach dem Gesellschafterwechsel. Für die Höhe des Anteils kommt es auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Wirkung der schuldrechtlichen (gesellschaftsrechtlichen) Vereinbarungen an. Die Wirkung tritt frühestens mit dem Vertragsabschluss ein. Der Zeitpunkt der Leistung der Einlagen ist unerheblich.
Stockt ein Neugesellschafter seine Beteiligung durch den Erwerb weiterer Anteile am Gesellschaftskapital nach dem erstmaligen Erwerb des Gesellschaftsanteils auf, werden sowohl der erstmalige Erwerb als auch die Hinzuerwerbe bei der Berechnung der Quote berücksichtigt. Veränderungen der Kapitalbeteiligung von Neugesellschaftern durch Kapitalerhöhung bei deren Eintritt führen zum Übergang von Anteilen am Gesellschaftskapital und sind bei der Ermittlung des %-Satzes zu berücksichtigen. Gleiches gilt bei bloßen Kapitaländerungen zugunsten der Neugesellschafter im Verhältnis zu den Altgesellschaftern.
Kapitalerhöhung
Am Kapital der grundbesitzenden A-GmbH ist A zu 100 % beteiligt. Das Kapital der A-GmbH beträgt 25.000 EUR.
Im Jahr 01 überträgt A 60 % seiner Beteiligung an B. Im Jahr 02 tritt C in die A-GmbH ein und erhöht das Kapital auf 100.000 EUR (Einlage C 75.000 EUR), so dass nunmehr C zu 75 %, A zu 10 % und B zu 15 % an der A-GmbH beteiligt sind.
- Durch die Übertragung von A auf B im Jahr 01 gehen 60 % der Anteile an der A-GmbH unmittelbar auf einen Neugesellschafter über.
- Durch die Kapitalerhöhung durch C im Jahr 02 gehen 75 % der Anteile an der A-GmbH auf einen Neugesellschafter über. Der Übergang von 60 % im Jahr 01 entspricht nach der Kapitalerhöhung rechnerisch nunmehr 15 % (15.000 EUR zum neuen Kapital von 100.000 EUR).
- Im Jahr 02 wird der Tatbestand des § 1 Abs. 2b GrEStG erfüllt, da innerhalb von 10 Jahren mindestens 90 % der Anteile am Kapital der grundbesitzenden A-GmbH (Jahr 01: 15 % + Jahr 02: 75 %) auf neue Gesellschafter übergegangen sind.
§ 1 Abs. 2b GrEStG erfasst keine Änderungen der Beteiligung am Gesellschaftskapital der Altgesellschafter im Verhältnis zueinander. Veränderungen der Kapitalbeteiligung zwischen Neugesellschaftern werden bei der Ermittlung des %-Satzes nicht erneut berücksichtigt. Gehen Anteile von Todes wegen auf Neugesellschafter über, bleibt der Erwerb dieser Anteile bei der Ermittlung des %-Satzes außer Ansatz. Gesellschafterwechsel, die sich vor dem Grundstückserwerb vollziehen, sind zur Tatbestandserfüllung unbeachtlich.
Eigene Gesellschaftsanteile, die eine Kapitalgesellschaft als Zwischengesellschaft oder grundbesitzende Gesellschaft selbst hält, bleiben bei der Ermittlung des %-Satzes außer Betracht. Maßgebend ist somit, dass mindestens 90 % der nicht von der Kapitalgesellschaft selbst gehaltenen Anteile auf neue Gesellschafter übergehen.
Bei Gesellschaftsstrukturen mit Personen- und Kapitalgesellschaften ist durch Personengesellschaften durchzurechnen und auf der Ebene jeder Kapitalgesellschaft die 90 %-Grenze zu prüfen:
- Änderungen im Gesellschafterbestand der an der grundbesitzenden Kapitalgesellschaft beteiligten Personengesellschaften werden durch Multiplikation der %-Sätze der Anteile am Kapital der Gesellschaft mit den Anteilen am Gesellschaftsvermögen anteilig berücksichtigt.
Bei Beteiligungen von Kapitalgesellschaften an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft ist auf das erforderliche Quantum von 90 % der Anteile an der beteiligten Kapitalgesellschaft abzustellen. Gehen bei einer beteiligten Kapitalgesellschaft mindestens 90 % der Anteile auf Neugesellschafter in Bezug auf die beteiligte Kapitalgesellschaft über, so gilt diese als Neugesellschafterin der grundbesitzenden Kapitalgesellschaft. Die Beteiligung der Kapitalgesellschaft ist in voller Höhe bei der Ermittlung des %-Satzes zu berücksichtigen (nicht nur in Höhe von 90 %).
Änderung des Gesellschafterbestands in Bezug auf beteiligte Kapitalgesellschaften
An einer grundbesitzenden A-GmbH sind A zu 85 %, B zu 10 % und die C-GmbH zu 5 % beteiligt. Die Anteile der C-GmbH halten D zu 85 %, E zu 10 % und F zu 5 %.
Im Jahr 01 überträgt A seine Beteiligung an der A-GmbH auf X. Im Jahr 02 übertragen D und F ihre Anteile an der C-GmbH auf Y und Z.
Ausgangs- und Zielstruktur
Die Übertragung der Beteiligung des A auf X führt im Jahr 01 zu einem unmittelbaren Gesellschafterwechsel i. H. v. 85 %.
Durch die Übertragungen von D auf Y und F auf Z im Jahr 02 wird die C-GmbH fiktive Neugesellschafterin der A-GmbH, da mindestens 90 % der Anteile an der C-GmbH (85 % + 5 %) auf Neugesellschafter in Bezug auf die C-GmbH (Y und Z) übergegangen sind...