Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Auch für die Anwendung des § 1 Abs. 3 GrEStG hat der Gesetzgeber Anwendungs- und Übergangsregelungen normiert. Da § 1 Abs. 3 GrEStG – anders als § 1 Abs. 2a GrEStG – tatbestandlich keine zeitliche Begrenzung enthält, kann die Fortgeltungsanordnung des § 1 Abs. 3 GrEStG a. F. im Rahmen der Übergangsregelungen nicht nach 5 Jahren entfallen. Sie gilt grundsätzlich unbegrenzt fort.
Weitergeltung des alten Rechts
§ 23 Abs. 21 GrEStG ordnet die Weitergeltung des bisherigen Rechts für die Fälle an, die das neue Recht nicht erfasst. Die Fortgeltung des bisherigen Rechts kommt aber nur subsidiär zur Anwendung. Danach ist § 1 Abs. 3 a. F. auf Erwerbsvorgänge nach dem 30.6.2021 weiter anzuwenden, wenn bei einem Rechtsträger am 30.6.2021 weniger als 95 %, aber mindestens 90 % der Anteile der Gesellschaft vereinigt waren.
Hatte ein Gesellschafter nämlich die maßgebliche Beteiligungsgrenze von 95 % nach bisheriger Rechtslage am 30.6.2021 noch nicht überschritten, aber bereits eine Beteiligung von 90 % oder einen Anspruch darauf erreicht, wurde hierdurch ein Erwerbstatbestand nach § 1 Abs. 3 GrEStG a. F. nicht ausgelöst. Würden nach dem 30.6.2021 die Anteile der Gesellschaft aufgestockt, wäre dieser Rechtsvorgang nicht steuerbar. Denn die steuerauslösende Beteiligungsgrenze von 90 % (neue Rechtslage) wäre bereits vor diesem Rechtsvorgang erreicht gewesen, so dass sie durch die Aufstockung nicht mehr überschritten werden könnte. Demgegenüber wäre ein Vorgang steuerbar, wenn der Erwerber nach bisherigem Recht weniger als 90 % (z. B. 89,9 %) der Anteile der Gesellschaft i. S. d. des § 1 Abs. 3 GrEStG a. F. erworben hätte und seine Anteile auf mindestens 90 % aufstocken würde.
Ohne die Übergangsregelung hätte die Absenkung der Beteiligungsgrenze ungewollt Ungleichheiten ausgelöst. Denn die mit dem Ziel der Missbrauchsverhinderung umgesetzte Gesetzesänderung hätte diejenigen Fallkonstellationen nicht erfasst, die nach bisheriger Rechtslage (noch) keinen Erwerbstatbestand ausgelöst hatten, weil zwar die 90 %-Grenze erreicht, die 95 %-Grenze aber noch nicht überschritten worden war. Unter Gleichheitsgesichtspunkten mussten aber auch diejenigen Fälle erfasst werden, bei denen durch eine Anteilsänderung nach bisheriger Rechtslage ein Erwerbstatbestand ausgelöst worden wäre. Dieses Ziel wurde erreicht, indem die bisherige Rechtslage für diejenigen Fälle weiter anzuwenden ist, bei denen es ursächlich durch die gesetzliche Absenkung der Beteiligungsgrenze, nicht mehr zu einer Besteuerung käme.
Besteuerung nach altem Recht
Der Neugesellschafter N erwirbt im Jahr 2020 94,9 % der Anteile an der grundbesitzenden Kapitalgesellschaft K vom Altgesellschafter A. Die übrigen Anteile i. H. v. 5,1 % hält der Dritte D. Im Juli 2021 erwirbt N die Anteile des D.
Die Übertragung von 94,9 % im Jahr 2020 hat nicht zu einer Anteilsvereinigung i. S. v. § 1 Abs. 3 GrEStG geführt. Die Neufassung des § 1 Abs. 3 GrEStG ist erstmals auf nach dem 30.6.2021 stattfindende Erwerbsvorgänge anwendbar. Da die steuerauslösende Grenze von 90 % (nach neuem Recht) bereits vor dem Erwerb der weiteren Anteile von 5,1 % erreicht war, kann die maßgebliche Grenze von 90 % nicht mehr überschritten werden, so dass nach neuer Rechtslage kein steuerbarer Vorgang vorliegt. Allerdings ist in diesem Fall aufgrund der Übergangsregelung des § 23 Abs. 1 Satz 1 GrEStG die Vorschrift des § 1 Abs. 3 GrEStG a . F. weiterhin anzuwenden. Dessen Tatbestand ist mit Erreichen der 95 %-Grenze im Juli 2021 erfüllt.
Anwendung des neuen Rechts
Die Fortgeltung des bisherigen Rechts ist entbehrlich, wenn der Rechtsvorgang nach § 1 Abs. 3 GrEStG n. F. einen Erwerbstatbestand auslöst. Deshalb ordnet § 23 Abs. 21 Satz 3 GrEStG den zeitlichen Anwendungsvorrang der neuen Rechtslage gegenüber der alten Rechtslage an. Insoweit gilt das alte Recht nur subsidiär weiter. Immer dann, wenn das neue Recht einmal zur Anwendung gekommen ist, wird die Anwendung des bisherigen Rechts gesperrt.