a) Keine "Doppelerstattung" möglich, wenn Rückzahlungserfordernis
Bejahung des Reemtsma-Anspruchs bei Rückzahlungserfordernis: Bei der Entscheidung des EuGH sollte also von Bedeutung sein, ob er bereits aus den mehrwertsteuerlichen Grundsätzen herleitet (d.h. ohne dass dies im nationalen Recht ausdrücklich so vorgesehen ist), dass bei einem Steuerkorrekturverfahren die Rückzahlung vom Leistenden an den Leistungsempfänger stets erforderlich ist. Wäre das so, müsste er feststellen, dass es im vorliegenden Fall nicht zu einer Doppelerstattung kommen kann, so dass der Reemtsma-Anspruch des LE zu bejahen wäre.
Spätere Rückgängigmachung: Sollte der Leistende später doch ein Steuerkorrekturverfahren durchführen und die dann von seinem FA erstatteten Beträge an den Leistungsempfänger zurückzahlen, müsste der Leistungsempfänger die Beträge, die er im Reemtsma-Verfahren von seinem FA erstattet bekommen hat, an dieses zurückzahlen (s. oben IV.3.a) aa)).
b) Ohne Rückzahlungserfordernis "Doppelerstattung" möglich, aber fehlende Umsetzung geht nicht zu Lasten der Steuerpflichtigen
Mögliche Erstattung an beide Beteiligte: Sollte sich eine Verpflichtung des Leistenden im Steuerkorrekturverfahren, die vom FA an ihn erstatteten Beträge an den Leistungsempfänger zurückzuzahlen, nach Ansicht des Gerichtshofs nicht zwingend aus dem Unionsrecht ergeben (d.h. sollte eine solche Verpflichtung nur dann bestehen, wenn dies im nationalen Recht ausdrücklich vorgesehen ist), wäre eine "Doppelerstattung" denkbar.
Fehlende gesetzliche Regelungen ...: Dann aber könnte dies im vorliegenden Fall dem LE nicht entgegengehalten werden. Hätte sich der Gesetzgeber nämlich rechtzeitig mit der Thematik der Reemtsma-Ansprüche befasst und entsprechende Regelungen zur Abstimmung der Verfahren aufeinander vorgesehen (und außerdem das Steuerkorrekturverfahren erschöpfend und unionsrechtskonform ausgestaltet), wäre die Vorlagefrage des FG Münster in dieser Form obsolet gewesen. Das hat der Gesetzgeber aber leider, wie unter I. dargestellt, nicht getan.
... sind unbeachtlich: Die Untätigkeit des nationalen Gesetzgebers kann aber nicht zur Folge haben, dass unionsrechtlich geschützte Ansprüche von Steuerpflichtigen entfallen. Anderenfalls könnten die nationalen Gesetzgeber und Steuerverwaltungen bestimmen, in welchem Umfang Unionsrecht im jeweiligen Mitgliedstaat gilt. Mit Blick auf Fristen hat der EuGH das bereits sehr früh klargestellt.
Keine Anwendung unionsrechtswidrigen Rechts zu Lasten der Stpfl.: Kommt der nationale Gesetzgeber seiner Verpflichtung zur Umsetzung des Unionsrechts nicht nach, kann diese Regelungslücke nicht dadurch geschlossen werden, dass das nationale Recht im Widerspruch zum Unionsrecht zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgelegt wird. Negative Folgen fehlender Umsetzung von Unionsrecht gehen zu Lasten des Mitgliedstaates, also zu Lasten der Staatskasse.
Vorlagefrage ist zu bejahen: Der Reemtsma-Anspruch des Klägers im vorliegenden Fall könnte also nicht deswegen eingeschränkt werden, weil der Gesetzgeber es unterlassen hat, Vorschriften zu erlassen, die die Ansprüche der Steuerpflichtigen miteinander koordinieren. Der EuGH müsste also die Vorlagefrage des FG Münster auch dann bejahen.