a) Zunächst keine Reaktion
Untätigkeit trotz EuGH- und BFH-Rspr. ...: Die Finanzverwaltung (der Gesetzgeber) hat den Reemtsma-Anspruch über einen Zeitraum von 15 Jahren mehr oder weniger ignoriert, obwohl die Existenz des Anspruchs (wie vorstehend dargestellt insbesondere in der höchstrichterlichen Rechtsprechung) außer Zweifel gestanden hat und auch ansonsten, zum Teil bereits recht früh, darauf hingewiesen wurde, dass gesetzliche Regelungen erforderlich seien.
... kann nicht unbegrenzt durchgehalten werden: Schlussendlich erkannte man aber in gewisser Weise auch im BMF, dass Nichttätigwerden – in diesem Zusammenhang – selbst aus fiskalischer Sicht keine Option ist. Zwar kommt in diesem Fall eine die Praxis monierende Entscheidung des BVerfG – wie z.B. zur Höhe der Zinsen gem. § 238 AO – wohl nur bedingt in Betracht (aus dieser Richtung drohte also diesmal im Fall der weiteren Tatenlosigkeit keine Gefahr). Mangels gesetzlicher oder anderer Vorgaben entwickelten aber unterschiedliche Finanzbehörden unterschiedliche Ansätze zu Voraussetzungen und Zuständigkeiten. Dies führte in der Praxis zu einer gewissen Rechtszersplitterung, was dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Besteuerung widerspricht. Außerdem besteht natürlich latent die Gefahr, dass die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der fehlenden Regelungen über die Reemtsma-Ansprüche eröffnet.
b) BMF-Schr. v. 12.4.2022
Restriktive Verwaltungsauffassung: So veröffentlichte das BMF am 12.4.2022 ein Schreiben zum sog. Direktanspruch in der Umsatzsteuer. Mit diesem kann zumindest schon einmal nachgewiesen werden, dass sich die Finanzverwaltung mit dem Thema beschäftigt hat, was vielleicht mit Blick auf ein eventuelles Vertragsverletzungsverfahren helfen würde. Leider aber hat dieses Schreiben eigentlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Eine systematische Regelung der Voraussetzungen, die auch mit anderen Vorschriften abgestimmt ist, findet sich hierin nicht (wäre wohl, wie gesagt, auch eher Aufgabe des Gesetzgebers). Eigentlich bestehen weite Teile des Schreibens eher darin darzulegen, wann ein Reemtsma-Anspruch nicht besteht.
Einschränkung der Ansprüche als solche nicht zulässig: Diese stark einschränkende Sichtweise ist insofern misslich als sich der Anspruch, wie gesagt, aus dem Unionsrecht ergibt, durch die Mitgliedstaaten also nicht eingeschränkt werden darf. Ihre Aufgabe besteht lediglich darin, die Voraussetzungen im nationalen Recht umzusetzen und die verfahrensrechtlichen Aspekte zu regeln, wobei sie auch bei letzteren – trotz der sog. Verfahrensautonomie – die mehrwertsteuerlichen Grundsätze des Europarechts zu beachten haben. Die weitgehenden Einschränkungen der Reemtsma-Ansprüche durch das Schreiben vom 12.4.2022 – die allerdings auch partiell auf entsprechenden Urteilen der nationalen Gerichte basieren – dürften wohl in Teilen die Kompetenzen, die den nationalen Steuerverwaltungen bei der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Unionsrechts zustehen, überschreiten.