Leitsatz
1. Hat ein Steuerpflichtiger Krankengeld bezogen und wird infolge der späteren Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente der hierfür zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, gilt der Rentenanspruch des Berechtigten insoweit gemäß § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt. Die Erwerbsminderungsrenten unterliegen damit bereits im Zeitpunkt des Zuflusses des Krankengeldes im Umfang der Erfüllungsfiktion mit ihrem Besteuerungsanteil der Einkommensteuer.
2. Die Grundsätze des Senatsurteils vom 10.7.2002, X R 46/01 (BFHE 199, 541, BStBl II 2003, 391) gelten auch für die durch das AltEinkG eingeführte nachgelagerte Besteuerung von Erwerbsminderungsrenten.
Normenkette
§ 11, § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG, § 107 Abs. 1, § 103 SGB X
Sachverhalt
Der Kläger erhielt im Streitjahr 2010 Krankengeld von der Betriebskrankenkasse. Im Folgejahr stellte sich heraus, dass dem Kläger für 2010 eine Rentennachzahlung zustand, da er die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente bereits ab April 2010 erfüllt hatte. Ein Teil der Rentennachzahlung wurde mit dem Erstattungsanspruch der Krankenkasse gegen die Rentenversicherung verrechnet.
Der Kläger war der Auffassung, er habe 2010 steuerfreie Lohnersatzleistungen erhalten, während das FA das Krankengeld im Hinblick auf § 107 SGB X als Rentenzahlung besteuerte. Vorverfahren und Klage hatten keinen Erfolg (Niedersächsisches FG, Urteil vom 13.11.2013, 8 K 111/13, Haufe-Index 7016760, EFG 2014, 1481).
Entscheidung
Auch die Revision war nicht erfolgreich. Der BFH war aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen der Auffassung, das von der Krankenkasse gezahlte Krankengeld sei als Leibrente in dem Umfang gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. aDoppelbuchst. aa EStG zu besteuern, in dem die Krankenversicherung gegen die Rentenversicherung gemäß § 103 Abs. 1 und 2 SGB X i.V.m. § 107 Abs. 1 SGB X einen Erstattungsanspruch hatte.
Hinweis
Es kommt nicht selten vor, dass bei einer längeren und schwerwiegenden Erkrankung zunächst die Krankenkasse Krankengeld zahlt und sich später herausstellt, dass der Betroffene bereits zu diesem Zeitpunkt Anspruch auf Zahlung einer Erwerbsminderungsrente hatte. Die steuerliche Behandlung kann dann Probleme aufwerfen.
1. Bei einer solchen zeitlichen Überschneidung zweier Leistungen steht dem vorleistenden Versicherungsträger (Krankenkasse) ein Erstattungsanspruch auf der Rechtsgrundlage des § 103 SGB X zu. In Höhe dieser Erstattung gilt der Anspruch des Steuerpflichtigen gegen die Rentenversicherung als eigentliche Leistungsträgerin als erfüllt (§ 107 Abs. 1 SGB X). Durch diese Erfüllungsfiktion soll eine Rückabwicklung im Verhältnis zwischen vorleistendem Träger (Krankenkasse) und Leistungsberechtigtem (Steuerpflichtigen) sowie ein Nachholen der Leistung im Verhältnis zwischen leistungspflichtigem Träger (Rentenversicherung) und Leistungsberechtigtem (Steuerpflichtigen) vermieden werden.
2. Diese im Sozialrecht unkomplizierte Verfahrensweise führt jedoch zu einem steuerrechtlichen Problem, wenn verschiedene Veranlagungszeiträume betroffen sind. Das Krankengeld ist als Lohnersatzleistung gemäß § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerfrei und unterliegt nur dem Progressionsvorbehalt, während die Rente mit dem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. aDoppelbuchst. aa EStG zu versteuern ist.
3. Nach der bisherigen und jetzt auch für die Zeit nach Inkrafttreten des AltEinkG bestätigten Rechtsprechung des BFH kommt es nicht darauf an, dass die Bezüge dem Steuerpflichtigen als (steuerfreies) Krankengeld zugeflossen sind. Für die Besteuerung ist vielmehr entscheidend, dass sie ihm auf der Rechtsgrundlage des mit der Rentenversicherung bestehenden Rentenversicherungsverhältnisses als Erwerbsminderungsrente zustehen.
Durch die Zugrundelegung der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X auch bei der Anwendung des § 22 EStG liegt der Rentenbeginn damit in dem Jahr, in dem der Steuerpflichtige die Leistungen – unabhängig von ihrem Rechtsgrund – tatsächlich erhalten und sich seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht hat.
4. Unter Geltung des AltEinkG hat dieses Ergebnis für die Steuerpflichtigen im Gegensatz zur früheren Rechtslage eine positive Nebenwirkung: Der steuerfreie Teil der Erwerbsminderungsrente sowie der sich ggf. anschließenden Altersrenten der Rentenversicherung bemisst sich nach dem geringeren Besteuerungsanteil des (früheren) Jahres, in dem das Krankengeld bezogen wurde.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.12.2015 – X R 30/14