Bereits im Juni 2021 begann die Zahl der Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die die Grenze zwischen Litauen und Belarus unerlaubt überschritten, anzusteigen. Grund dafür waren die Missachtung des Völkerrechts, der Grundrechte und der Menschenrechte mittels der Instrumentalisierung von Migrantinnen und Migranten durch das belarussische Regime, was erhebliche Auswirkungen auf das Nachbarland Litauen hatte und großen Druck und außerordentliche Herausforderungen in Bezug auf die Gewährleistung des Grenzschutzes sowie die Aufnahme und Unterbringung von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen verursachte. Bis August 2021 waren 55 mal mehr Personen erfasst worden, die die Grenze zwischen Litauen und Belarus unerlaubt überschritten hatten, als während des ganzen Jahres 2020. Die Zunahme der Zahl von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die die Grenze zwischen Litauen und Belarus unerlaubt überschritten, veranlasste Litauen am 2.7.2021, den landesweiten Ausnahmezustand auszurufen. Im Juli 2021 ersuchte Litauen gem. Art. 15 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1313/2013/EU um Hilfe bei der Bewältigung dieser Notfallsituation. Neunzehn Mitgliedstaaten und ein Drittland, das am Katastrophenschutzverfahren der EU teilnimmt, antworteten auf dieses Ersuchen. Die Hilfsangebote umfassten die Bereitstellung von Heiz- und Klimaanlagen, Feldbetten, Stromgeneratoren, Wohn- und Sanitärcontainern, Zelten und Bodenbelägen, Beleuchtungskits, Tischen, Stühlen, Decken, Kissen, Schlafsäcken, Matratzen, Spinden, Lagerzelten und Lebensmittelrationen sowie andere nichtfinanzielle Hilfen.
Im Oktober 2021 beantragte Litauen, Gegenstände, die zwecks unentgeltlicher Verteilung und Bereitstellung an Drittstaatsangehörige und Staatenlose, die die Grenze zwischen Litauen und Belarus unerlaubt überschritten hatten, sowie an Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, nach Litauen eingeführt wurden, von den Einfuhrabgaben und der Mehrwertsteuer zu befreien. Bis zur Mitteilung der Entscheidung der Kommission genehmigte Litauen die Einfuhr der Gegenstände unter Aussetzung der Eingangsangaben nach Art. 76 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1186/2009 und unter Aussetzung der Mehrwertsteuer nach Art. 53 Abs. 2 RL 2009/132/EG.
Nunmehr hat die Kommission am 16.2.2023 durch den Beschluss 2023/375 über die Befreiung von Gegenständen, die 2021 und 2022 von Litauen zur Bewältigung der Migrationskrise eingeführt wurden, von Eingangsabgaben und der Mehrwertsteuer gestützt insbesondere auf Art. 53 Abs. 1 RL 2009/132/EG und auf Art. 76 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1186/2009 Litauen ermächtigt (ABl. EU 2023 Nr. L 51, 83), Gegenstände, die von der staatlichen Grenzschutzbehörde Litauens zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr eingeführt werden, von Eingangsabgaben i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a VO (EG) Nr. 1186/2009 und von der Mehrwertsteuer auf Einfuhren i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a RL 2009/132/EG zu befreien, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- Die Gegenstände sind bestimmt entweder für die kostenlose Verteilung durch staatliche Organisationen an Drittstaatsangehörige und Staatenlose, die die Grenze zwischen Litauen und Belarus unerlaubt überschritten haben, sowie an Personen, die internationalen Schutz beantragt haben oder für die unentgeltliche Bereitstellung an Drittstaatsangehörige und Staatenlose, die die Grenze zwischen Litauen und Belarus unerlaubt überschritten haben, sowie an Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, durch staatliche Organisationen, wobei die Gegenstände Eigentum dieser Organisationen bleiben.
- Die Gegenstände erfüllen die Anforderungen der Art. 75, 78, 79 und 80 VO (EG) Nr. 1186/2009 und der Art. 52, 55, 56 und 57 RL 2009/132/EG.
Der Beschluss gilt ab dem 12.8.2021 für Einfuhren von Gegenständen nach Litauen zwischen dem 12.8.2021 (Tag des Beginns der ersten hier in Rede stehenden Einfuhren) und dem 31.7.2022. Er bildet damit die endgültige Rechtsgrundlage für die Befreiung dieser Gegenstände, die durch Litauen seinerzeit in der Praxis durch die gewährte Aussetzung bereits so vollzogen wurde.
Bis spätestens 1.3.2023 hat Litauen der Kommission folgende Informationen zu übermitteln:
- konsolidierte Informationen über die Gegenstände, die gemäß dem Beschluss von den Einfuhrabgaben und der Mehrwertsteuer befreit wurden (Nummer der Zollanmeldung; Datum der Annahme; Code der Kombinierten Nomenklatur; Code des integrierten Zolltarifs der EG; Eigenmasse; besondere Maßeinheit (falls zutreffend); Wert der Gegenstände; Zollsatz; MwSt-Satz; Betrag der nicht vereinnahmten Abgaben und Mehrwertsteuer; Warenursprung; Bezeichnung der genannten Organisationen für die Gegenstände, die für Drittstaatsangehörige und Staatenlose, die die Grenze zwischen Litauen und Belarus unerlaubt überschritten haben, sowie für Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, bereitgestellt wurden) und
- Liste der benannten staatlichen Organisationen, die für die Verteilung und die Bereitstellung der von den Einfuhrabgaben und der Mehrwertsteuer befreiten Gegenständ...