Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 28.10.2021 – C-324/20 – X-Beteiligungsgesellschaft
[Ohne Titel]
RA StB Georg von Streit / RA FAStR Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Der EuGH hatte mit seiner Entscheidung vom 29.11.2018 (baumgarten), mit etwas unorthodoxer Begründung die Hoffnung genährt, dass die Steuerpflichtigen Entlastung von der finanziellen Beschwernis erfahren könnten, die die strikte Anwendung des Sollbesteuerungsprinzips in manchen Konstellationen mit sich bringt. Diese Hoffnung hat mit der Entscheidung vom 28.10.2021 (X-Beteiligungsgesellschaft) erst einmal einen Dämpfer erfahren. Positiv an der letztgenannten Entscheidung ist, dass die Begründung besser nachvollziehbar ist als die Begründung im Urteil baumgarten. Damit trägt sie zu mehr Rechtssicherheit bei. Negativ ist, dass sie die eigentliche Frage, ob das Prinzip der Sollbesteuerung stets mit den allgemeinen Besteuerungsprinzipien im Einklang steht, unbeantwortet lässt. Die Historie der Entscheidungen und mögliche Konsequenzen werden in dem folgenden Beitrag diskutiert.
I. Fragestellung
Altes Thema ...: Die Frage, ob ein Steuerpflichtiger Mehrwertsteuer schon zu entrichten hat, wenn er das Entgelt von seinem Vertragspartner erst geraume Zeit nach der Ausführung seines Umsatzes erhält, hat in den vergangenen Jahren verschiedentlich die Gerichte und die juristische Fachliteratur beschäftigt. Nach dem Prinzip der Sollbesteuerung ist die Pflicht des Unternehmers, die Steuer zu entrichten, im Prinzip unabhängig davon, ob er das Entgelt sofort erhält oder später. Er ist also – anders als bei der Istversteuerung gem. § 20 UStG – im Zweifel verpflichtet, die Steuer (ggf. auch über längere Zeiträume) vorzufinanzieren. Dieses Prinzip stößt immer wieder auf Kritik und ist unter verschiedenen Aspekten diskutiert worden.
... neue Entscheidung: Nun hat sich der EuGH am 28.10.2021 wieder zu diesen Fragen geäußert. Die Ausführungen in seinem Urteil X-Beteiligungsgesellschaft stellen allerdings eine Abkehr von den Feststellungen dar, die er – zu einem ähnlich gelagerten Sachverhalt – in der baumgarten-Entscheidung vom 29.11.2018 getroffen hatte. Im Grunde genommen ist die Diskussion mit der Entscheidung vom 28.10.2021 wieder auf den Ausgangspunkt zurückgedreht worden.
II. Vorgeschichte
Bevor die Konsequenzen des Urteils vom 28.10.2021 aufgezeigt werden, soll kurz dargestellt werden, wie die Sollbesteuerung in früheren Entscheidungen der deutschen FG sowie des EuGH beurteilt worden ist.
1. BFH v. 24.10.2013 – V R 31/12
Sicherheitseinbehalte: Schon in seinem Urteil vom 24.10.2013 ging der BFH auf die Probleme der Sollbesteuerung ein. Es ging um den Steuerpflichtigen B, der Bauleistungen erbrachte. Die Auftraggeber behielten von den vereinbarten Entgelten anteilige Beträge (5 % bis 10 % der Auftragssumme) als Sicherheit ein. Die Auszahlung dieser Sicherheitseinbehalte erfolgte, sofern sie nicht für die Beseitigung von Baumängeln verwendet wurden, nach zwei oder fünf Jahren. Streitig war ob B im Zeitpunkt des Abschlusses seiner Bauleistung (Leistungszeitpunkt) Mehrwertsteuer auch auf die Beträge der Sicherheitseinbehalte schuldete oder ob die Steuer insoweit erst später zu zahlen war.
Steuerentstehung im Leistungszeitpunkt ...: Für den BFH war klar, dass die Steuer vollumfänglich gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG mit dem Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Leistungserbringung entstanden war. Es sei verfassungsgemäß, wenn die Steuer im Rahmen der Sollversteuerung vorzufinanzieren sei.
... aber Korrektur, wenn unverhältnismäßig: Wenn sich aber, so der BFH weiter, die Sollbesteuerung im Einzelfall als unverhältnismäßig erweise, sei dem durch die Auslegung des Berichtigungstatbestandes der Uneinbringlichkeit (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG) Rechnung zu tragen. Bei dieser Auslegung sei Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL zu beachten, der "eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage für den Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung ... nach der Bewirkung des Umsatzes ... unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen‘ anordnet."
Daher Berichtigung wg. Uneinbringlichkeit im Leistungszeitpunkt: Uneinbringlich sei ein Entgelt, wenn damit zu rechnen sei, dass der Leistende die Entgeltforderung zumindest auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen könne. Dies gelte (nicht nur, wie in Art. 90 MwStSystRL vorgesehen, wenn sich die Bemessungsgrun...