Leitsatz
1. Ein Buchgewinn, der aufgrund der Erteilung einer Restschuldbefreiung entsteht, ist grundsätzlich im Jahr der Rechtskraft des gerichtlichen Beschlusses zu erfassen (Bestätigung des Senatsurteils vom 3. Februar 2016, X R 25/12, BFHE 252, 486, BStBl II 2016, 391).
2. Wurde der Betrieb vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben, liegt allerdings ein in das Jahr der Aufstellung der Aufgabebilanz zurückwirkendes Ereignis vor.
Normenkette
§ 300 Abs. 1 Satz 1, § 301 Abs. 1 Satz 1, § 301 Abs. 3, § 94 InsO, § 174 Abs. 4, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, § 16 Abs. 1, Abs. 3 EStG, § 126 Abs. 4 FGO
Sachverhalt
Der Kläger gab 1995 seine gewerbliche Tätigkeit auf. Das Betriebs-FA stellte den gewerblichen Verlust 1995 fest. 1999 beantragte der Kläger die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen. Ende 2006 wurde ihm die Restschuldbefreiung erteilt. Daraufhin erließ das Betriebs-FA einen neuen Feststellungsbescheid, in dem es den sog. Befreiungsgewinn berücksichtigte.
Zwischenzeitlich vertrat das BMF in dem Erlass vom 22.12.2009 (BStBl I 2010, 18) die (neue) Auffassung, im Fall einer Restschuldbefreiung sei von der Realisierung eines Befreiungsgewinns erst im Zeitpunkt der Erteilung der Restschuldbefreiung auszugehen. Es handele sich nicht um ein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Das Betriebs-FA änderte daraufhin erneut den Gewinnfeststellungsbescheid 1995 und stellte den vorherigen Verlust wieder fest.
Daraufhin erließ das FA gemäß § 174 Abs. 4 AO einen geänderten Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.2006 und minderte den festgestellten verbleibenden Verlust um den Befreiungsgewinn. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg, weil es an einer Änderungsbefugnis des FA fehle (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2014, 5 K 4719/10, Haufe-Index 8030576).
Entscheidung
Die Revision des FA war unbegründet. Zwar sei ein Befreiungsgewinn grundsätzlich im Jahr der Erteilung der Restschuldbefreiung zu erfassen. Etwas anderes gelte jedoch, wenn der Betrieb – wie im Streitfall – vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben worden sei. Deshalb könne der Befreiungsgewinn nicht in der angefochtenen Verlustfeststellung auf den 31.12.2006 berücksichtigt werden.
Hinweis
1. Die Erteilung der Restschuldbefreiung führt zu keinem zurückwirkenden Erlöschen der Verbindlichkeit des Insolvenzschuldners. Stattdessen werden die nicht erfüllten Forderungen ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Beschlusses des Insolvenzgerichts, mit dem die Restschuldbefreiung erteilt wird, in unvollkommene Verbindlichkeiten umgewandelt. Deren Erfüllung ist von da ab – ex nunc – freiwillig möglich, kann jedoch nicht erzwungen werden. Daher wirkt die Erteilung der Restschuldbefreiung auch einkommensteuerrechtlich grundsätzlich nicht zurück.
2. Davon unabhängig sind die Auswirkungen der Restschuldbefreiung im Zusammenhang mit einer Betriebsaufgabe zu betrachten:
Aufgrund der Einstellung der gewerblichen Tätigkeit ist eine Betriebsaufgabebilanz zu erstellen. Dabei sind bis zum Eintritt der Rechtsschuldbefreiung die betrieblichen Verbindlichkeiten zum Nennwert anzusetzen.
Der Eintritt der Restschuldbefreiung führt zu deren Neubewertung mit dem Ergebnis, dass diese Verbindlichkeiten nicht mehr auszuweisen sind. Sie bleiben zwar als unvollkommene Verbindlichkeiten bestehen, der Gläubiger kann jedoch nunmehr eine Befriedigung nicht mehr beanspruchen. Der fehlende Zwang zur Erfüllung führt dazu, dass eine Inanspruchnahme des Schuldners im Regelfall nicht mehr zu erwarten ist, da es nur in Ausnahmefällen auf rein freiwilliger Basis zu einer Erfüllung kommen wird. Wirtschaftlich betrachtet stellen diese Verbindlichkeiten nach der Restschuldbefreiung deshalb keine Belastung mehr dar. Folglich sind sie nicht nur auf Null zu reduzieren, sondern aufzulösen.
3. Die Ausbuchung hat in der Aufgabebilanz zu erfolgen. Denn die Erteilung der Restschuldbefreiung stellt in Fällen einer Betriebsaufgabe ein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar.
Zwar sind bei den laufend veranlagten Steuern die materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht bei den Steuertatbeständen, die an einen einmaligen Vorgang anknüpfen und bei denen nachträgliche Änderungen nicht in einer Folgebilanz oder nach den Grundsätzen des Zuflussprinzips in einem späteren VZ berücksichtigt werden können. Hierzu gehört auch ein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn, der auf einem einmaligen, punktuellen oder wenigstens zeitlich zusammengeballten Ereignis beruht.
Damit muss die Restschuldbefreiung bei einem vor Insolvenz bereits aufgegebenen Betrieb zum rückwirkenden Wegfall der in der Aufgabebilanz ausgewiesenen betrieblichen Verbindlichkeiten führen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.12.2016 – X R 4/15