Rz. 9

Im Rahmen der Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts wurde das Ertragswertverfahren der Einheitsbewertung auf der Grundlage der jährlichen Reinerträge nach den §§ 7882 BewG (Reinertragsverfahren)[1] unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des Wertermittlungsrechts und der aktuellen Datenlage fortentwickelt.[2] Als Eingangsnorm zum Ertragswertverfahren nach den §§ 252257 BewG bestimmt § 252 S. 1 BewG, dass sich der Grundsteuerwert im Ertragswertverfahren aus der Summe des kapitalisierten Reinertrags nach § 253 BewG (Barwert des Reinertrags des Grundstücks) und des abgezinsten Bodenwerts nach § 257 BewG ermittelt. In systematischer Hinsicht wird damit die Entscheidung getroffen, dass die Ermittlung des Grundsteuerwerts im Ertragswertverfahren nach den §§ 252257 BewG unter Rückgriff auf die Verfahrensvariante des vereinfachten Ertragswertwertverfahrens nach § 29 ImmoWertV[3] erfolgt (Rz. 19ff.).

Infolgedessen wird der Kommentierung des in den §§ 252ff. BewG geregelten typisierten Ertragswertverfahrens zur Ermittlung von Grundsteuerwerten (vgl. Rz. 25ff.) nachfolgend zunächst ein Exkurs über die Grundsätze zur Ermittlung des Verkehrswerts (Ertragswerts) im Ertragswertverfahren auf der Grundlage der anerkannten Vorschriften des Baugesetzbuchs vorangestellt.

[1] S. BT-Drs. IV/1488, 56ff.
[2] S. Begründung zum Entwurf eines Grundsteuer-Reformgesetzes, zu § 252 BewG, BT-Drs. 19/11085, 112.
[3] In den Gesetzesmaterialien wird insoweit noch auf den inhaltsgleichen § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ImmoWertV 2010 Bezug genommen.

2.1 Exkurs: Ertragswertverfahren nach der ImmoWertV

2.1.1 Grundgedanke und Systematik des Ertragswertverfahrens

 

Rz. 10

Bei Anwendung eines Ertragswertverfahrens geht es im Kern darum, den Ertragswert eines bebauten Grundstücks als den auf den Wertermittlungsstichtag bezogenen Barwert (Gegenwartswert) aller zukünftigen Erträge aus dem Grundstück zu ermitteln.

Hierbei wird regelmäßig von den jährlich anfallenden Reinerträgen, die sich nach dem jeweiligen Abzug der mit der Unterhaltung von Immobilien verbundenen Bewirtschaftungskosten vom Rohertrag ergeben, ausgegangen. Um diesen Erträgen (Gebäude- und Bodenertragsanteile) einen Wert in der Gegenwart zu geben, werden diese grundsätzlich unter Heranziehung eines aus dem Marktgeschehen abgeleiteten Zinssatz, dem sogenannten Liegenschaftszinssatz, auf den Wertermittlungsstichtag abgezinst und addiert.

Hiernach setzt sich der Ertragswert allgemein aus der Summe

  • der über die am Wertermittlungsstichtag verbleibende wirtschaftliche Restnutzungsdauer der baulichen Anlagen anfallenden jährlichen Reinerträge, jeweils abgezinst auf den Wertermittlungsstichtag, und
  • des nach Ablauf der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer der baulichen Anlagen verbleibenden – wertbeständigen – Bodenwerts, der ebenfalls auf den Wertermittlungsstichtag abzuzinsen ist,

zusammen.

Insbesondere durch die Heranziehung der aus dem Grundstücksmarkt abgeleiteten Liegenschaftszinssätze ist der Ertragswert nicht nur ein rein stichtagsbezogener Wert, sondern gleichzeitig auch ein in die Zukunft gerichteter Wert (Rz. 12).

2.1.2 Allgemeine Ertragswertformel

 

Rz. 11

Als allgemeine Ertragswertformel gilt die folgende Formel (ohne Berücksichtigung ggf. relevanter Freilegungskosten):

 
EW = RE1 × q-1 + RE2 × q-2 + RE3 × q-3 + … REn × q-n + (BW) × q-n
EW = Ertragswert
RE1 = Reinertrag des jeweiligen Jahres
n = Restnutzungsdauer der baulichen Anlage
BW = Bodenwert
q-1..n = Abzinsungsfaktor, wobei q = 1 + p/100
p = Zinsfuß (p = 100 x Liegenschaftszinssatz)

2.1.3 Lösung der Kernfragen des Ertragswertverfahrens

2.1.3.1 Künftige Erträge – marktüblich erzielbare Erträge

 

Rz. 12

Eine Schwierigkeit der Ertragswertermittlung besteht allerdings darin, dass die künftigen jährlichen Reinerträge teilweise über einen langen Zeitraum sachgerecht prognostiziert werden müssen.

Kernfrage des Ertragswertverfahrens

Die auf der Grundlage des Baugesetzbuchs erlassenen Vorschriften zur Verkehrswertermittlung lösen dieses Problem, indem sie in den §§ 28, 29 ImmoWertV i. V. m. den §§ 21, 34 ImmoWertV sowohl für das allgemeine als auch für das vereinfachte Ertragswertverfahren vorschreiben, dass die am Wertermittlungsstichtag marktüblich erzielbaren Erträge mithilfe eines aus dem Marktgeschehen abgeleiteten dynamischen Kapitalisierungszinssatzes (Liegenschaftszinssätze gem. § 21 Abs. 1 und 2 sowie § 21 ImmoWertV) zu kapitalisieren sind. Mit dem Liegenschaftszinssatz werden die Erwartungen der Marktteilnehmer hinsichtlich der Entwicklung der allgemeinen Ertrags- und Wertverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt erfasst. Er dynamisiert entsprechend diesen Erwartungen die angesetzte Anfangsrendite. Diese – auch international gebräuchliche – Methode berücksichtigt somit die objektive Betrachtungsweise des Grundstücksmarktes und gewährleistet eine zukunftsorientierte Wertermittlung.

Der Ertragswert ist somit nicht nur ein rein stichtagsbezogener Wert, sondern gleichzeitig auch ein in die Zukunft gerichteter Wert. Er bestimmt sich maßgeblich durch den Nutzen, den das Grundstück seinem Eigentümer ermöglicht. Die gilt unabhängig davon, ob der Eigentümer ggf. aus subjektiven Gründen darauf verzichtet, diesen Nutzen aus dem Grundstück tatsächlich zu ziehen.

Soweit die Ertragsverhältnisse absehbar we...

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