Rz. 34

Das Sachwertverfahren nach den §§ 258260 BewG wurde zwar in Anlehnung an das Sachwertverfahren nach den §§ 2123 ImmoWertV 2010[1] (Rz. 10ff.) geregelt, im Sinne einer praktikablen Anwendung in einem steuerlichen Massenverfahren wie der Feststellung der Grundsteuerwerte kommt es ohne Typisierungen jedoch nicht aus.

Im Vergleich zum Sachwertverfahren nach den §§ 2123 ImmoWertV 2010 sind insbesondere folgende wesentliche Typisierungen zu nennen:

  • Anwendung des Sachwertverfahrens für Grundstücksarten, für deren Werteinschätzung am Grundstücksmarkt die marktüblich erzielbaren Erträge ausschlaggebend sind
  • Ermittlung des Bodenwerts (§§ 258 Abs. 2, 247 BewG)

    • Heranziehung des Bodenrichtwerts für das jeweilige Bodenrichtwertgrundstück; Abweichungen zwischen den Grundstücksmerkmalen des Bodenrichtwertgrundstücks und des zu bewertenden Grundstücks werden mit Ausnahme unterschiedlicher Entwicklungszustände und Arten der Nutzung bei überlagernden Bodenrichtwertzonen nicht berücksichtigt
  • Ermittlung der Normalherstellungskosten (§ 259 Abs. 1 i. V. m. der Anlage 42 zum BewG)

    • Bestimmung der Gebäudestandards anhand baujahrbezogener Gruppen
  • Bestimmung der Alterswertminderung (§ 259 Abs. 4 BewG)

    • begrenzte wirtschaftliche Betrachtungsweise (§ 259 Abs. 4 S. 2 – 5 BewG: Annahme eines fiktiv späteren Baujahrs nur bei wesentlichen Veränderungen (Kernsanierung); Begrenzung der Alterswertminderung auf 70 %; Berücksichtigung einer Abbruchverpflichtung)
  • Wertzahlen (§ 260 i. V. m. der Anlage 43 zum BewG)

    • kein Rückgriff auf die von den örtlichen Gutachterausschüssen ermittelten Sachwertfaktoren, sondern gesetzliche Vorgabe von marktüblichen bundesdurchschnittlichen Wertzahlen in Abhängigkeit von der Höhe des vorläufigen Sachwerts und einem Bodenrichtwertniveau
  • Keine Berücksichtigung von besonderen objektspezifischen Grundstücksmerkmalen (Rz. 17, 20, 21)
 

Rz. 35

Die weitreichenden Typisierungen (Rz. 34) bei gleichzeitiger Versagung der Möglichkeit, den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts erbringen zu können (§ 247 BewG Rz. 12), haben in der Fachöffentlichkeit Kritik an dem typisierten Sachwertverfahren nach den §§ 258260 BewG ausgelöst. Teilweise werden die Regelungen zum typisierten Sachwertverfahren wegen struktureller Wertverzerrungen als verfassungswidrig beurteilt.[2]

 

Rz. 36

Der – teilweise berechtigt – vorgetragenen Kritik (Rz. 35) ist zunächst entgegenzuhalten, dass sich der Gesetzgeber im Bemühen, die verfassungsrechtlichen Vorgaben nach einer relations- und realitätsgerechten Bewertung mit dem Erfordernis eines praktikablen, weitgehend automatisiert ablaufenden Bewertungsverfahrens in einem steuerlichen Massenverfahren in Einklang zu bringen, intensiv mit der Frage der möglichen (verfassungsrechtlich zulässigen) Typisierungen auseinandergesetzt hat (§ 247 BewG Rz. 5 und 6 sowie § 252 BewG Rz. 38). Gerade in Massenverfahren der vorliegenden Art verfügt der Gesetzgeber über einen – zugestandenen – großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum.[3]

Der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen für ein Grundsteuer-Reformgesetz vom 3.4.2019[4] sah zumindest noch vor, dass

  • zur Bewertung der bebauten Grundstücke – mit Ausnahme der sonstigen bebauten Grundstücke – zumindest vorrangig das Ertragswertverfahren anzuwenden ist (§ 250 Abs. 24 BewG-E),
  • bei der Bewertung von Geschäftsgrundstücken, gemischt genutzten Grundstücken und Teileigentum die vereinbarten Mieten bzw. üblichen Mieten heranzuziehen sind (§ 254 Abs. 1 und 3 BewG-E) und
  • bei der Ermittlung des Bodenwerts die Bodenrichtwerte unter Berücksichtigung aller Abweichungen zwischen den Grundstücksmerkmalen des Bodenrichtwertgrundstücks und des zu bewertenden Grundstücks nach Maßgabe der Gutachterausschüsse herangezogen werden (§ 247 Abs. 1 BewG-E).

Offensichtlich ist der Bundesgesetzgeber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens immer weiter auf die insbesondere von den Ländern vorgetragenen Forderungen nach weiteren Typisierungen im Kompromisswege eingegangen. Er (musste) sich hinsichtlich des steuerlichen Massenverfahrens zur Feststellung von Grundsteuerwerten für ca. 36 Mio. wirtschaftlichen Einheiten des Grundbesitzes immer stärker von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen (s. z. B. § 247 BewG Rz. 5 und 6 sowie § 250 BewG Rz. 11, 13 und 15). Durch den Verzicht auf die einzelfallbezogene Erhebung des Gebäudestandards (des Ausstattungsstandards) konnten z. B. die externen Angaben zum Sachwertverfahren im Vergleich zur bisherigen Einheitsbewertung von über 30 auf 8 Angaben reduziert werden.[5]

Letztlich hat der Bundesgesetzgeber unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben seinen Typisierungsspielraum weit auslegt, um das in der Praxis noch Machbare zu regeln. Es kann nur darüber spekuliert werden, ob die Kompromissbereitschaft des Bundes gegenüber den Ländern geringer ausgeprägt gewesen wäre, wenn die den Ländern eingeräumte Kompetenz für abweichende landesrechtliche Regelungen im Wege einer Änderung des Grundgesetzes bereits zu Beginn der Gesetzg...

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