Rz. 47

Sind nach der Bezugsfertigkeit des Gebäudes Veränderungen eingetreten, die die wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes wesentlich verlängert haben, ist gem. § 259 Abs. 4 S. 3 BewG von einem der Verlängerung entsprechenden späteren Baujahr auszugehen. Diese tradierte Formulierung[1] ist unglücklich, da nicht die in der Anlage 38 zum BewG angegebene Gesamtnutzungsdauer, sondern nur die Restnutzungsdauer des Gebäudes im Feststellungszeitpunkt verlängert wird (§ 253 BewG Rz. 24).

In den Verwaltungsanweisungen wurde insoweit bereits formuliert: "Sind nach der Bezugsfertigkeit des Gebäudes bauliche Maßnahmen durchgeführt worden, die zu einer wesentlichen Verlängerung der Nutzungsdauer des Gebäudes geführt haben, ist von einem entsprechend späteren Baujahr auszugehen."[2]

In Kontinuität zu den Regelungen zur Einheitsbewertung setzt eine Verlängerung der Restnutzungsdauer bzw. die Annahme eines späteren Baujahrs durch bauliche Maßnahmen nicht nur voraus, dass das Gebäude hierdurch grundlegend erneuert und verbessert wurde, sondern das auch tragende Bauteile – zumindest teilweise – erneuert worden sind.[3] In der Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Grundsteuer-Reformgesetzes wurde in diesem Zusammenhang eine Kernsanierung und eine Entkernung als mögliche bauliche Maßnahmen angeführt, die zu einer wesentlichen Verlängerung der Nutzungsdauer des Gebäudes und infolgedessen zu einem entsprechend späteren Baujahr führen können. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn nicht nur der Ausbau (u. a. Heizung, Fenster und Sanitäreinrichtungen) umfassend modernisiert, sondern auch der Rohbau (u. a. Fundamente, tragende Innen und Außenwände, Treppen, Dachkonstruktion sowie Geschossdecken) teilweise erneuert worden ist.[4]

An den vorstehenden Ausführungen wird der Wille des Gesetzgebers deutlich, dass in dem Massenverfahren zur Feststellung von Grundsteuerwerten aus Vereinfachungsgründen nur in sehr wenigen Ausnahmefällen eine Verlängerung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer bzw. die Annahme eines späteren Baujahrs in Betracht kommen soll. Ausgeschlossen ist insbesondere, dass anhand des Modells zur Ermittlung der Restnutzungsdauer von Wohngebäuden unter Berücksichtigung von Modernisierungen an einzelnen Modernisierungselementen (Ausbauelementen) nach der Anlage 2 der ImmoWertV[5] bei der Grundsteuerbewertung eine verlängerte Restnutzungsdauer bzw. die Annahme eines späteren Baujahrs geprüft und angenommen wird.[6]

 

Rz. 48

Nach der Verwaltungsauffassung ist von einer wesentlichen Verlängerung der Nutzungsdauer i. S. d. § 259 Abs. 4 S. 3 BewG nur bei einer Kernsanierung auszugehen.[7] Zum Begriff einer Kernsanierung s. Kommentierung zu § 253 BewG Rz. 25.

Das fiktiv spätere Baujahr ermittelt sich in diesen Fällen aus Vereinfachungsgründen aus dem Jahr der Kernsanierung abzüglich 10 % der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes. Mit dem pauschalen Abschlag in Höhe von 10 % wird die teilweise noch verbliebene alte Bausubstanz berücksichtigt.[8] Als Jahr der Kernsanierung gilt das Jahr, in dem die Kernsanierung abgeschlossen wurde.[9]

 
Praxis-Beispiel

Annahme eines späteren Baujahrs nach einer Kernsanierung[10]

Ausgangsdaten:

 
Hauptfeststellungszeitpunkt 1.1.2022
Grundstücksart Warenhaus
Baujahr 1970
Kernsanierung 2008

Fiktives Baujahr im Hauptfeststellungszeitpunkt 1.1.2022:

2008 (Jahr der Kernsanierung)

abzüglich

5 Jahre (10 % der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer von 50 Jahren gem. Anlage 38 zum BewG)

= 2003

 

Rz. 49

einstweilen frei

[1] S. z. B. § 190 Abs. 4 S 3 BewG zur Grundbesitzbewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie der Grunderwerbsteuer.
[2] A 259 Abs. 4 S. 1 AEBewGrSt.
[3] S. § 80 Abs. 3 BewG i. V. m. Abschnitt 27 Abs. 2 BewRGrV.
[4] S. Begründung zum Entwurf eines Grundsteuer-Reformgesetzes, zu § 259 Abs. 4 BewG, BT-Drs. 19/11085 v. 25.6.2019, 118.
[5] S. auch vorhergehend Anlage 4 der SW-RL v. 5.9.2012, BAnz AT 18.10.2012, B 1.
[6] Im Rahmen der Grundbesitzbewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Grunderwerbsteuer erfolgt diese Prüfung; s. R B 190.7 Abs. 3 ErbStR 2019.
[7] A 259.5 Abs. 3 und 4 S. 2 AEBewGrSt.
[8] A 259.5 Abs. 4 S. 4 und 5 AEBewGrSt.
[9] A 253.1 Abs. 3 S. 13 AEBewGrSt.
[10] A 259.5 Abs. 4 AEBewGrSt.

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