Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Wird der Verkauf eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft (wesentliche Beteiligung i.S.v. § 17 EStG) nach Übertragung des Anteils und vollständiger Bezahlung des Kaufpreises durch den Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs, mit dem die Vertragsparteien den Rechtsstreit über den Eintritt einer im Kaufvertrag vereinbarten auflösenden Bedingung beilegen, rückgängig gemacht, so ist dies ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung.
Normenkette
§ 16 EStG , § 17 EStG , § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO , § 158 Abs. 2 BGB
Sachverhalt
Die Klägerin verkaufte und übertrug einen Teil ihrer wesentlichen Beteiligung an einer GmbH am 4.11.1997 auf die Erwerberin. Diese verpflichtete sich u.a., der GmbH ein Gesellschafterdarlehen zu gewähren, von dem weitere Dispositionen der Gesellschafter der GmbH abhängig waren. Der Kaufvertrag stand u.a. unter der auflösenden Bedingung, dass dieses Darlehen rechtswirksam und unwiderruflich gewährt wird.
Der Kaufvertrag wurde mit Ausnahme der Darlehensgewährung erfüllt. Am 18.12.1997 übertrug die Erwerberin die Beteiligung auf eine Tochtergesellschaft (M-AG), die mit allen Rechten und Pflichten in den Kaufvertrag vom 4.11.1997 eintrat. Nachdem es zwischen den Vertragsparteien über verschiedene Punkte des Kaufvertrags zu einem Rechtsstreit gekommen war, vereinbarten diese am 30.3.2000 im Vergleichsweg die Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Rückgewährverpflichtungen bezogen sich u.a. auch auf die Gewinnbezugsrechte der M-AG und die Verzinsung des Kaufpreises durch die Klägerin.
Das FA sah in der Rückgängigmachung des Vertrags einen neuen entgeltlichen Übertragungsvorgang. Die Pflichten aus der Rückabwicklung seien auch nicht umgekehrt deckungsgleich mit den Pflichten aus dem Kaufvertrag gewesen. Es erfasste deshalb den aus diesem Vertrag ermittelten Gewinn als Veräußerungsgewinn i.S.v. § 17 EStG.
Entscheidung
Das FG gab der Klage statt. Der BFH bestätigte diese Entscheidung. Ein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 AO sei auch in einem Erstbescheid zu berücksichtigen. Denn die Prüfung richte sich nach dem materiellen Steuergesetz.
Danach sei ein rückwirkendes Ereignis nicht nur bei noch nicht erfülltem Veräußerungsvertrag – und bei diesem unabhängig vom Grund der nachträglichen Veränderung –, sondern auch bei einem bereits erfüllten Veräußerungsvertrag und bei einer Rückabwicklung aufgrund einer auflösenden Bedingung zu berücksichtigen. Das gelte auch für einen gerichtlichen Vergleich über den Eintritt einer auflösenden Bedingung.
Für eine berücksichtigungsfähige Rückabwicklung sei nicht erforderlich, dass vereinnahmte Geldbeträge auch in Geld zurückgezahlt würden. Wenn – wie im Streitfall – die Vertragspartner anstelle der Rückzahlung eines vereinnahmten Geldbetrags die Abtretung einer Forderung in derselben Höhe vereinbarten, sei darin nur dann keine tatsächliche Rückabwicklung zu sehen, wenn diese Forderung nicht in vollem Umfang werthaltig und deshalb eine Rückabwicklung nur vorgetäuscht worden sei. Gegen eine tatsächliche Rückabwicklung spreche auch nicht, dass die Klägerin nicht nur den an sie gezahlten Kaufpreis zurückzugewähren hatte, sondern dass außerdem eine Verzinsung vereinbart worden sei. Denn eine Rückabwicklung erstrecke sich stets auch auf die zwischenzeitlich gezogenen Nutzungen.
Hinweis
Mit dem vorliegenden Urteil rundet der BFH seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung von rückwirkenden Ereignissen bei Beteiligungsveräußerungen ab (Entsprechendes muss für Betriebsveräußerungen i.S.v. § 16 EStG gelten!). Die Rechtsprechung hatte sich bisher nur mit Fällen zu befassen, in denen der Veräußerungsvorgang noch nicht abgeschlossen (z.B. der Kaufpreis noch nicht vollständig beglichen) war. Das wurde regelmäßig als Grenze der als rückwirkende Ereignisse in Betracht kommenden Leistungsstörungen angesehen (vgl. dazu HG, DStR 1994, 1230).
Diese Sicht ist jedoch zu eng. Die für § 175 AO entscheidende Leistungsstörung bezieht sich auf den Fortbestand des Veräußerungsgeschäfts als Steuertatbestand. Daraus folgt, dass alle Ereignisse Rückwirkung haben, die diesen Tatbestand betreffen und kein neues Rechtsgeschäft über den veräußerten Gegenstand darstellen. Das ist z.B. der Fall bei einem vereinbarten (so im Fall des BFH, Urteil vom 21.12.1993, VIII R 69/88, BStBl II 1994, 648) oder gesetzlichen Rücktrittsrecht, nicht aber z.B. bei einem Rückkaufsrecht. Eine zeitliche Grenze ist dabei – außer der Festsetzungsfrist des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO – nicht zu beachten.
Was für ein vereinbartes Rücktrittsrecht gilt, gilt auch für eine vereinbarte auflösende Bedingung, die zur Rückabwicklung des Vertrags nur bei einer entsprechenden Willenserklärung eines Vertragspartners führt. Die entscheidende Frage ist in beiden Fällen, ob die erforderliche Willenserklärung die Rückabwicklung zu einem neuen Geschäft macht (dazu HG, DStR 1994, 1230). Das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die Gestaltungsmöglichkeit bereits im Veräußerungsvertrag selbst angelegt ist, u...