Dipl.-Kfm. Hans-Joachim Rux
Rz. 42
Nach den in der Urteilsbegründung zum BFH-Urteil vom 29.9.2022, IV R 20/19, enthaltenen Grundsatzes sind gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB in der Handelsbilanz Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot für Verbindlichkeitsrückstellungen gehört zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung und gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz. Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach – deren Höhe zudem ungewiss sein kann – sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Ist eine Verpflichtung am Bilanzstichtag bereits rechtlich entstanden, bedarf es keiner Prüfung der wirtschaftlichen Verursachung mehr, weil eine Verpflichtung spätestens im Zeitpunkt ihrer rechtlichen Entstehung auch wirtschaftlich verursacht ist. Die Rechtsansicht des IV. und des I. Senats steht im Einklang, der zufolge für den Fall, dass eine Verpflichtung am Bilanzstichtag nicht nur der Höhe nach ungewiss, sondern auch dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden ist, eine Rückstellung nur unter der weiteren Voraussetzung gebildet werden kann, dass sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht wurde. Die wirtschaftliche Verursachung einer Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in den Vorjahren setzt voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Maßgebend ist hiernach die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalls. Der rechtliche und wirtschaftliche Bezugspunkt der Verpflichtung muss in der Vergangenheit liegen, so dass die Verbindlichkeit nicht nur an Vergangenes anknüpft, sondern auch Vergangenes abgilt.
Wichtige Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung ist, "dass der Schuldner am Bilanzstichtag ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen muss. Die bloße Möglichkeit des Bestehens oder Entstehens einer Verbindlichkeit reicht insoweit dagegen nicht aus. Die eine Ernsthaftigkeit der Inanspruchnahme begründete 'überwiegende Wahrscheinlichkeit' setzt bei privatrechtlichen Schadenersatzansprüchen entweder die Kenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen oder zumindest dessen unmittelbar bevorstehende Kenntniserlangung voraus. Dies gilt unabhängig von der Rechtsgrundlage, ob also ein Schadenersatzanspruch auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage beruht."
Prinz fasst die "Grunderfordernisse" zur steuerbilanziellen Anerkennung einer Verbindlichkeitsrückstellung wie folgt zusammen:
- es muss eine dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewisse zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Außenverpflichtung vorhanden sein,
- die rechtlich am Bilanzstichtag besteht (=rechtliche Wirksamkeit) oder zumindest in der Vergangenheit wirtschaftlich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entstanden ist,
- wobei der Schuldner mit deren Inanspruchnahme i. S. eines "doppelten Wahrscheinlichkeitstests" ernsthaft rechnen muss (Bestehen der Verbindlichkeit sowie Inanspruchnahme aus der Verbindlichkeit), ohne dass
- die entstehenden Aufwendungen als künftige Anschaffungs-/Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts zu qualifizieren sind.
Rz. 42a
Es muss sich also um eine Außenverpflichtung handeln, diese kann ihre Grundlage im Zivilrecht haben (z. B. Handelsvertretervertrag, Schutzrechtsverletzung) oder im öffentlichen Recht (z. B. Wiederauffüllungsverpflichtung einer Kiesgrube), die öffentlich-rechtliche Verpflichtung muss jedoch durch ein bestimmtes Handeln der zuständigen Behörde konkretisiert sein. Eine Außenverpflichtung wird auch bei einer Ansammlungsrückstellung vorausgesetzt. "Daneben muss der laufende Geschäftsbetrieb für das Entstehen der Rückstellung wirtschaftlich verantwortlich sein, damit die Rückstellung zeitanteilig in gleichen Raten angesammelt werden kann. Einen typischen Anwendungsfall stellt die mietvertragliche Verpflichtung zur Beseitigung von Mietereinbauten dar, denn die Verpflichtung zum Entfernen von Mietereinbauten ist wirtschaftlich durch den laufenden Geschäftsbetrieb verursacht worden. Die Rückstellung ist nach § 253 Abs. 2 HGB abzuzinsen, wenn die Restlaufzeit länger als ein Jahr beträgt. Am Abschlussstichtag ist der Barwert folglich auszuweisen." Nach Maßgabe ständiger Rechtsprechung des BFH kann es ungeachtet einer ausreichend bestimmten Außenverpflichtung aber in Betracht kommen, die wirtschaftlichen Interessen des Leistungsverpflichteten und des Anspruchsberechtigten zu gewichten und im Einzelfall ein sog. eigenbetriebliches Interesse als wirtschaftlich auslösendes Moment der Belastung zu werten. An dieser Rechtspr...