Ist die Verpflichtung im Einzelfall nicht als Verbindlichkeit, sondern als Rückstellung einzuordnen, so ist handelsrechtlich eine Abzinsung des Erfüllungsrückstands vorzunehmen. Denn nach § 253 Abs. 2 HGB sind Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr zwingend abzuzinsen. Dazu ist der ihrer jeweiligen Restlaufzeit entsprechende durchschnittliche Marktzinssatz zu verwenden, der die Zinsentwicklung der vergangenen 7 Geschäftsjahre berücksichtigt. Der Zinssatz wird durch die Deutschen Bundesbank nach Maßgabe der Rückstellungsabzinsungsverordnung (RückAbzinsV) monatlich ermittelt und bekannt gemacht.
Steuerlich ist die Bewertung von Rückstellungen in § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG geregelt. Danach ist eine Abzinsung mit 5,5 % vorzunehmen. Die methodische Vorgehensweise zur Berechnung der Abzinsung und zur Ableitung der sich dabei ergebenden Verpflichtungsbeträge wurde im Praxis-Beispiel für den Fall der steuerlichen Abbildung eines als Verbindlichkeit auszuweisenden Erfüllungsrückstands für Wirtschaftsjahre, die bis zum 31.12.2022 enden, dargestellt. Im Ergebnis ist eine einheitliche Bilanzierung in Handels- und Steuerbilanz im Fall der Abbildung eines Erfüllungsrückstands als Rückstellung – trotz des Abzinsungsgebots in beiden Rechenwerken – nicht möglich. Ursächlich sind die unterschiedlichen Abzinsungsregelungen für Rückstellungen in Handels- und Steuerbilanz.
Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf R 6.11 Abs. 3 EStR, wonach der handelsrechtliche Wert einer Rückstellung als Höchstgrenze zu betrachten ist. Dies hat der BFH mit Urteil vom 20.11.2019 auch für die Rechtslage nach Inkrafttreten des BilMoG bestätigt. Daher dürfen nach Rückstellungen – mit Ausnahme von Pensionsrückstellungen – in der Steuerbilanz nicht höher ausgewiesen werden als der zulässige Rückstellungsausweis in der Handelsbilanz. Begründet wird dies mit der Gesetzesformulierung "höchstens insbesondere" im Einleitungssatz des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG.
Zur praktischen Umsetzung dieser "Höchstgrenze" ist
- im ersten Schritt zunächst der Rückstellungswert nach den Regelungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG (steuerlicher Wert) zu ermitteln;
- im zweiten Schritt anschließend dieser Wert mit dem handelsbilanziellen Wertansatz zu vergleichen.
Der niedrigere der beiden Werte ist in der Steuerbilanz anzusetzen.
Kontierungs-Praxis-Fazit
- Für eine am Bilanzstichtag bestehende Darlehensverbindlichkeit mit steigenden Zinssätzen muss der Darlehnsnehmer in seiner Bilanz eine Rückstellung oder Verbindlichkeit wegen eines Erfüllungsrückstands erfassen.
- Bei derartigen Verträgen ist regelmäßig eine ordentliche Kündigung durch den Darlehensnehmer ausgeschlossen. Denn ohne eine solche Klausel würde sich der Darlehensgeber dem Risiko aussetzen, dass der Darlehensnehmer das Darlehen nur für die zinsgünstigen Jahre in Anspruch nimmt und z. B. nach der Hälfte der Laufzeit kündigt und so die Phase der hohen Zinsen ganz oder teilweise vermeidet.
- Bei einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung eines solchen Darlehensvertrags schuldet der Darlehnsnehmer über die gesamte Laufzeit den Durchschnittszins. Es kommt in den Anfangsjahren zu einer Unausgewogenheit, denn wirtschaftlich betrachtet befindet sich der Darlehensnehmer in den ersten Jahren der Laufzeit eines solchen Darlehens mit seinen vertraglich geschuldeten Zins gegenüber dem Darlehnsgeber im Rückstand.
- Dieser bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise bestehende Erfüllungsrückstand ist in der Bilanz des Darlehnsnehmers als Schuld zu erfassen. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise kann sich der Darlehnsnehmer der Zahlung der höheren Zinsen im zweiten Teil der Darlehnslaufzeit nicht entziehen.
- Der Erfüllungsrückstand errechnet sich dann aus der Differenz zwischen der Verzinsung der Restschuld zum Durchschnittszinssatz abzüglich der tatsächlich gezahlten Zinsen
- Der Erfüllungsrückstand ist als eigenständige Verpflichtung auszuweisen – entweder als Verbindlichkeit oder als Rückstellung. Die Beurteilung muss im Einzelfall getroffen werden. Von einer Verbindlichkeit ist auszugehen, wenn die Höhe des Erfüllungsrückstands sicher bestimmbar ist, wovon in vielen Fällen auszugehen sein wird.
- Wird die Verpflichtung als Verbindlichkeit qualifiziert, so ist der Erfüllungsrückstand als Verbindlichkeit in der Handelsbilanz auszuweisen, die nicht verzinst wird.
- Die Abbildung als Verbindlichkeit in der Steuerbilanz weicht von dem handelsbilanziellen Ausweis für Wirtschaftsjahre, die bis zum 31.12.2022 enden, ab. Denn nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG a. F. besteht ein Abzinsungsgebot zum Zinssatz von 5,5 % von unverzinslichen Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von mindestens einem Jahr, soweit die Verbindlichkeiten nicht auf einer Anzahlung oder auf einer Vorausleistung beruhen.
- Die Abbildung als Verbindlichkeit in der Steuerbilanz entspricht dem handelsbilanziellen Ausweis für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2022 enden. Denn nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG n. F. sind Verbindlichkeiten nicht abzuzinsen.