Leitsatz
Wird eine gegen das FA gerichtete Forderung abgetreten und besteht für das FA im Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Abtretung eine Aufrechnungslage gegenüber dem bisherigen Gläubiger, die das FA nach § 226 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 406 BGB berechtigt, die Aufrechnung mit ihrer Gegenforderung auch gegenüber dem neuen Gläubiger der Hauptforderung zu erklären, so werden diese eingetretenen Rechtswirkungen des § 406 BGB durch eine nachträglich vom FA gewährte Stundung der Gegenforderung, die auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Abtretung zurückwirkt, nicht beseitigt.
Normenkette
§ 222 AO , § 226 Abs. 1 AO , § 387 BGB , § 406 BGB
Sachverhalt
Mit einer beim FA am 10.2.1999 eingegangenen Abtretungsanzeige hatte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem FA bestehende Ansprüche an die Klägerin abgetreten. 2000 erklärte das FA gegenüber der Klägerin die Aufrechnung mit Gegenforderungen gegen den Steuerpflichtigen. Die betreffenden Steueransprüche waren 1998 festgesetzt worden. Einen diesbezüglichen Stundungsantrag hatte das FA zunächst Anfang Januar 1999 abgelehnt. Im März stundete es die Forderungen jedoch mit Rückwirkung vom 9. Februar 1999. Obwohl danach die Fälligkeit der Gegenforderung bei Kenntniserlangung von der Abtretung der Hauptforderung – fiktiv – als nicht gegeben anzusehen war, behandelte das FA in einem diesbezüglichen Abrechnungsbescheid die Aufrechnung als wirksam. Dagegen erhob der Zessionar Klage.
Entscheidung
Der BFH hat dem FA Recht gegeben. Durch die Aufrechnung mit Gegenforderungen des FA sei der abgetretene Anspruch erloschen.
Hinweis
1. Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis und gegen solche Ansprüche sind nach § 226 Abs. 1 AO die Vorschriften des BGB sinngemäß anzuwenden. Das BGB verlangt für eine wirksame Aufrechnung u.a. die Gegenseitigkeit von Haupt- und Gegenforderung, an der es in Abtretungsfällen meist fehlt. Jedoch fingiert § 406 BGB gleichsam unter bestimmten Voraussetzungen die Gegenseitigkeit. Nach dieser Vorschrift kann nämlich der Schuldner mit einer ihm gegen den bisherigen Gläubiger (Zedenten) zustehenden Forderung auch gegenüber dem neuen Gläubiger (Zessionar) aufrechnen, es sei denn, dass er beim Erwerb der Forderung von der Abtretung Kenntnis hatte oder dass die Forderung erst nach Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist.
Die Rechtsstellung des Schuldners soll sich also durch die Abtretung nicht verschlechtern. Dies gilt auch im Steuerrecht für die Stellung des FA (BFH, Urteil vom 25.4.1989, VII R 36/87, BStBl II 1990, 352). Ist eine Gegenforderung des FA bereits fällig, wenn es von der Abtretung von Steuererstattungsansprüchen erfährt, kann es also die Aufrechnung auch noch gegenüber dem neuen Gläubiger (Zessionar) erklären; sein Vertrauen in den Bestand der Aufrechnungslage wird geschützt.
2. Im Besprechungsfall lagen neben den allgemeinen Aufrechnungsvoraussetzungen die des § 406 BGB zweifellos vor, soweit man von der "rückwirkenden Stundung" der Gegenforderung des FA absieht. Im Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Abtretung der Steuererstattungsforderung (Hauptforderung) war die Aufrechnungslage eingetreten. Das FA hatte folglich damals eine Aufrechnungsmöglichkeit gegenüber dem neuen Gläubiger. Ist diese Aufrechnungsmöglichkeit nachträglich entfallen, weil das FA später rückwirkend Stundung gewährte, obwohl es von der Abtretung wusste? Oder kann man eine Stundung überhaupt "rückwirkend" gewähren, weil ihr Zweck doch an sich lediglich ist, den Fälligkeitszeitpunkt einer Forderung in die Zukunft hinauszuschieben?
3. Ein Verwaltungsakt kann grundsätzlich mit rückwirkender Wirksamkeit erlassen werden. Eine "rückwirkende Stundung" führt allerdings nicht dazu, dass die bis zum Erlass des Stundungsbescheids bereits eingetretenen Rechtsfolgen der Säumnis automatisch entfallen; sie schafft lediglich die rechtliche Grundlage für einen Erlass der Säumniszuschläge. Auch bereits durchgeführte Vollstreckungsmaßnahmen verlieren bei rückwirkender Stundung nicht automatisch, sondern erst durch ausdrückliche Aufhebung ihre Wirksamkeit (vgl. § 257 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 3 AO). Ähnliches gilt für die Haftung: es bleibt bei der einmal eingetretenen haftungsbegründenden Tatbestandsverwirklichung.
Dementsprechend hat der BFH jetzt entschieden, dass die "rückwirkende Stundung" auch nicht eine schon einmal gegeben gewesene Aufrechnungsbefugnis rückwirkend beseitigt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.7.2004, VII R 55/03