Leitsatz
1. Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) jeder sachverständigen Methode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint (Anschluss an Senatsurteil vom 28.7.2021 – IX R 25/19, Rz 19; z.T. entgegen Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22.2.2023, BStBl I 2023, 332, Rz 24).
2. Der schlichte Verweis durch den Steuerpflichtigen auf die modellhaft ermittelte Gesamt- und Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung genügt nicht, um eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG darzulegen und nachzuweisen.
3. Der kapitalisierte Wert eines lebenslangen, fortbestehenden Nießbrauchsrechts an einem Grundstück ist nicht Bestandteil der Anschaffungskosten des Grundstücks, wenn der Nießbraucher das Eigentum am belasteten Grundstück erwirbt.
Normenkette
§ 7 Abs. 1, Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG, § 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV, § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010, § 4 Abs. 3 Satz 2 ImmoWertV 2021, § 255 Abs. 1 HGB, § 889 BGB
Sachverhalt
Der Klägerin war aufgrund eines Erbvertrags mit ihrem im Jahr … verstorbenen Lebensgefährten (L) vermächtnishalber der lebenslange Nießbrauch an einem vermieteten Grundstück eingeräumt worden. Sie hatte sich im Erbvertrag verpflichtet, die zum Zeitpunkt des Anfalls des Vermächtnisses noch bestehenden Verbindlichkeiten, die auf dem Grundstück lasteten, zu übernehmen. Das Nießbrauchsrecht wurde nicht ins Grundbuch eingetragen. Auf dem Grundstück befinden sich ein im Jahr 1970 errichtetes Bürogebäude mit Betriebswohnungen und eine Lagerhalle. Die Anschaffungskosten waren fremdfinanziert. Erben des L und damit Eigentümer des Grundstücks nach dessen Tod wurden dessen Söhne (S 1 und S 2). Im Jahr 2013 veräußerte S 1 seinen Miteigentumsanteil an dem Grundstück für 150.000 EUR an die Klägerin.
In ihrer ESt-Erklärung für das Streitjahr 2014 machte die Klägerin bei den Einkünften aus VuV für die auf die Gebäude entfallenden Anschaffungskosten, die sie seinerzeit mit 122.704 EUR angab, AfA von 20.451 EUR geltend. Sie ging davon aus, dass die tatsächliche Nutzungsdauer der Gebäude nur noch sechs Jahre betrage. Das FA erkannte schließlich nur AfA in Höhe des typisierten festen Satzes von 2 % (= 2.455 EUR) an.
Das FG holte ein Sachverständigen-Gutachten ein. Der Sachverständige ermittelte für das Gesamtobjekt eine Restnutzungsdauer von 19 Jahren. Die Klägerin machte im Klageverfahren geltend, dass die AfA-Bemessungsgrundlage zu erhöhen sei. Mit dem Erwerb des hälftigen Miteigentums sei insoweit ihr Nießbrauchsrecht untergegangen. Der Wert dieses Rechtsverlusts sei Bestandteil ihrer Anschaffungskosten gewesen.
Das FG gab der Klage statt (FG Köln, Urteil vom 20.10.2022, 6 K 1506/17, Haufe-Index 15872816). Es meinte, der Wert des seiner Ansicht nach untergegangenen Nießbrauchsrechts gehöre zu den Anschaffungskosten. Der kapitalisierte Wert jenes Rechts – bezogen auf den hälftigen Miteigentumsanteil – erhöhe die Anschaffungskosten. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG lägen vor. Der Sachverständige sei nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Anschaffungskosten auf nur 19 Jahre zu verteilen seien. Bei einem Anteil von 55 % für den Gebäudeanteil (hierauf hatten sich die Beteiligten im Klageverfahren verständigt) seien AfA von 14.387 EUR abziehbar.
Entscheidung
Der BFH hat die Vorentscheidung aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Hinweis
Im Streitfall ging es im Wesentlichen um die AfA-Bemessungsgrundlage im Zusammenhang mit einer dinglichen Belastung und um den Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG.
1.§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein ("können"), ob er sich mit dem typisierten festen AfA-Satz nach Satz 1 der Vorschrift abfindet oder eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer geltend macht. Die Darlegungs- und Feststellungslast für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer trägt der Steuerpflichtige. Er kann sich jeder sachverständigen Methode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Eine bestimmte Gutachtenmethodik (z.B. Bausubstanzgutachten) oder ein bestimmtes Ermittlungsverfahren schreibt die Rechtsprechung nicht vor.
Der BFH hat deutlich gemacht, dass die weitergehenden Anforderungen und Einschränkungen, die die Finanzverwaltung in Rz. 23 f. des BMF-Schreibens vom 22.2.2023 (BStBl I 2023, 332) aufstellt, sich dem Gesetz nicht entnehmen lassen. Weder § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG noch § 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV geben vor, auf welche Weise und anhand welcher Gutachtenmethode der Nutzungszeitraum zu schätzen ist. Insbesondere die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010 (inzwischen § 4 Abs. 3 ImmoWertV 2021) ist eine gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode.