rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Versagung der Gemeinnützigkeit eines religiösen Vereins wegen Benennung im Verfassungsschutzbericht. Rechtsweg wegen Versagung der Gemeinnützigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Nicht jede negative Erwähnung einer Körperschaft in einem Verfassungsschutzbericht löst die Rechtsfolge des § 51 Abs. 3 S. 2 AO aus. Lediglich Vereinigungen, die selbst extremistisch sind, sind dieser Norm zu unterwerfen. Finden sich nach Ansicht des Verfassungsschutzes lediglich Hinweise, die einen extremistischen Einfluss auf die Vereinigung dokumentieren bzw. wird eine solche im Zusammenhang mit extremistischen Vereinigungen genannt, ist die Vorschrift nicht anzuwenden.
2. Gerichtlicher Rechtsschutz gegen den Inhalt des Verfassungsschutzberichtes ist vor den Verwaltungsgerichten statthaft. Ein Verein dessen Gemeinnützigkeit aufgrund § 51 Abs. 3 S. 2 AO versagt wird, ist jedoch nicht verpflichtet, zunächst den verwaltungsgerichtlichen Rechtsweg zu beschreiten. Das FA hat ein eigenes Prüfungsrecht inne.
Normenkette
AO § 51 Abs. 3 S. 2, § 52 Abs. 2 Nr. 2; BVerfSchG § 4 Abs. 1; KStG § 5 Abs. 1 Nr. 9; FGO § 33
Nachgehend
Tenor
1. Der Körperschaftsteuerbescheid vom 25. Februar 2010 sowie die Einspruchsentscheidung vom 10. August 2010 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe vor der Vollstreckung leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Gemeinnützigkeit eines Vereins.
Der Kläger ist ein seit dem Jahr 1995 beim Vereinsregister des Amtsgerichts X eingetragener Verein. Er betreibt eine Moschee. Nach seiner Satzung vom 29. August 1995 in der Fassung vom 5. November 2003 hat der Verein den Zweck, die Religion zu fördern, die Förderung kultureller Zwecke, der Hilfe für religiös Verfolgte und Flüchtlinge und der Volks- und Berufsbildung. Mitglied kann jeder unabhängig von Hautfarbe, Nationalität oder Geschlecht werden, wenn die Satzung anerkannt wird. Organe des Vereins sind der Vorstand, der aus einer Person besteht, und die Mitgliederversammlung. Der Vorstand ist Z.
Der Satzungszweck soll insbesondere durch folgende Maßnahmen erreicht werden:
- Durchführung der religiös-kulturellen Handlungen und Gottesdienste,
- Informationen durch Durchführung von Veranstaltungen, Vorträgen und Diskussionen,
- Integrationsarbeiten, z.B. Begleitung bei Behördengängen und Veranstaltungen für die Förderung der Integration,
- Zusammenarbeit mit anderen muslimischen Verbänden in Deutschland und
- Einrichtung eines Archivs mit Büchern und audiovisuellen Medien, das allen zugänglich ist.
Nach der Satzungsänderung vom 31. März … sind weitere Zwecke aufgeführt, wie die Jugendhilfe, die Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens sowie die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Als weitere Aktivitäten sind genannt:
- sinnvolle Freizeitbeschäftigung für Jugendliche durch Exkursionen, Workshops, Jugendberatung, Begegnungen und Bildung,
- Veranstaltungen und Aktivitäten im Sinne des Völkerverständigungsgedankens und der Toleranz, z.B. Begegnungen mit Andersdenkenden,
- Veranstaltungen, Projekte und Fortbildungen zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern,
- Beratung muslimischer Bürger und Menschen, die mehr über den Islam wissen möchten,
- Begegnungen mit anderen religiösen Gemeinden und Vereinen, um ein friedliches Miteinander zu schaffen und
- Aufklärungsarbeiten durch Beratungen, Gespräche im Sinne der Toleranz und durch Kennenlernen anderer, z.B. den Tag der offenen Moschee.
Im Verfassungsschutzbericht des Bundeslandes Y für das Streitjahr finden sich im Kapitel „Ausländerextremismus” folgende Ausführungen im Zusammenhang mit dem Kläger:
„Eine zunehmende Rolle spielen salafistische Bestrebungen im Raum X. Diese islamistische Strömung gewinnt nicht nur in Y und Deutschland zunehmend an Bedeutung, sondern auch europaweit. In Deutschland haben sich bereits salafistische Netzwerke herausgebildet, in die auch der Verein eingebunden ist. Dessen Aktivitäten strahlen auf das gesamte Bundesgebiet aus. Das salafistische Gedankengut, so wie es im Verein als politische Bestrebung verbreitet wird, ist in Teilen als demokratiefeindlich einzustufen. Von Menschen erdachte Konzepte, wie z.B. Demokratie, gelten als unvereinbar mit dem islamischen Glauben salafistischer Lesart. Ein wesentliches Glaubensfundament besteht beispielsweise darin, Gott als einzigen Gesetzgeber anzusehen. Die Akzeptanz und Ausführung eines säkularen, also nicht auf göttlichem Gesetz basierenden Rechtsystems wird als „Akt des Unglaubens” bezeichnet und abgelehnt. Die salafistischen Bestrebungen sind dazu geeignet, einer Integration von Muslimen abträglich zu sein und die Herausbildung und Festigung von Parallelgesellschaften zu fördern. So wir...