Entscheidungsstichwort (Thema)
Sammelauskunftsersuchen der Steuerfahndung an einen Dritten zur Ermittlung unbekannter Steuerfälle
Leitsatz (redaktionell)
1. Für ein berechtigtes Sammelauskunftsersuchen der Steuerfahndung ist ausreichend, dass die Steuerfahndung im Rahmen einer Prognoseentscheidung im Wege vorweggenommener Beweiswürdigung nach pflichtgemäßem Ermessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auskunft zu steuererheblichen Tatsachen zu führen vermag.
2. Die Prognose der Steuerfahndung, dass es nach Schätzungsbescheiden bei den Personen, die Gegenstand des Auskunftsersuchens sind, aufgrund weiterer Prüfungen zu einer höheren Steuerfestsetzung kommen kann, ist zutreffend. Es handelt sich nicht um eine Maßnahme „ins Blaue hinein”, sondern es liegt im Streitfall jeweils ein Ermittlungsanlass zum Aufdecken unbekannter Steuerfälle vor.
3. § 93 AO genügt dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit und besagt mit ausreichender Deutlichkeit, dass Dritte unter bestimmten Voraussetzungen zur Erteilung von Auskünften an die Finanzbehörden verpflichtet sind.
Normenkette
AO § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 2, § 93 Abs. 1 S. 1; GG Art. 20 Abs. 3
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Auskunftsverlangens.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der Auskünfte über Personen erteilt, die für Versicherungsunternehmen, Versicherungsvermittler und Bausparkassen im Außendienst tätig sind. Nach § 2 der Satzung besteht der Zweck des Klägers darin, sicherzustellen, dass nur vertrauenswürdige Personen Versicherungs-, Bauspar- und sonstige Finanzdienstleistungen vermitteln. Er wird von den am Auskunftsverkehr teilnehmenden Unternehmen sowie von den im Einzelfall zugelassenen Versicherungsvermittlungs-Gesellschaften über jede Aufnahme und über die Beendigung der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern im Außendienst unterrichtet. Bei Versicherungsmaklern bezieht sich die Unterrichtung auf die Zusage und auf den Widerruf der Courtage. Der Kläger leitet auf Anfrage an die am Auskunftsverfahren teilnehmenden Unternehmen die entsprechenden Auskünfte weiter. Er wird von den Unternehmen der Versicherungswirtschaft getragen.
Am 6. Mai 2009 forderte die Steuerfahndungsstelle des Beklagten den Kläger gemäß §§ 93, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO auf, zur Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse bei Versicherungsvertretern bzw. Versicherungsmaklern die Anschriften der einzelnen Versicherungsinstitute zu benennen, die mit in einer Anlage auf einer CD-Rom aufgeführten 1.050 Versicherungsvertretern in den Jahren 2002 bis 2007 in geschäftlicher Verbindung stehen. Der Beklagte begründete dies damit, dass Aufgabe der Steuerfahndung auch die Aufdeckung unbekannter Steuerfälle sei. Es lägen Erkenntnisse vor, wonach in Fällen, in denen keine Steuererklärung abgegeben worden sei, Steuern nicht in der Höhe festgesetzt würden, die bei Abgabe der Erklärung festgesetzt worden wären. Gegen diese Aufforderung legte der Kläger Einspruch ein und forderte den Sächsischen Datenschutzbeauftragten zu einer Stellungnahme auf, welche dieser am 26. August 2009 abgab. Der Beklagte wies mit Einspruchsentscheidung vom 11. November 2009 den Einspruch als unbegründet zurück und führte zur weiteren Begründung aus, dass in vergleichbaren Fällen Mehrsteuern von über EUR 25.000 pro Einzelfall durch Auskünfte hätten erhoben werden können. Daher liege keine Ermittlung „ins Blaue hinein” vor.
Der Kläger macht geltend, dass das Auskunftsersuchen nicht von §§ 93, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO gedeckt sei. Es sei bereits nicht erforderlich, da nicht davon auszugehen sei, dass bei Steuerunehrlichkeit auch nur eines Steuerpflichtigen bei 1.050 gelisteten Versicherungsvertretern weitere Versicherungsvertreter oder -makler steuerunehrlich seien. Ferner stehe nicht fest, dass dessen Steuerunehrlichkeit Einkünfte aus der Vermittlung von Versicherungsverträgen beträfe. Auch die Annahme, dass 362 Schätzungen vorgenommen werden mussten, genüge nicht für eine Auskunft durch den Kläger. Die Gründe, die zu einer Schätzung führen könnten, seien vielfältig. Schätzungen würden häufig die Einkommen richtig erfassen, sodass die Kosten für die Erstellung von Steuererklärungen höher als die einzusparende Steuer sein könnten. Ferner könnten Steuerpflichtige auch zahlungsunfähig sein, sodass es ihnen gleichgültig sei, welche Steuern sie schuldeten. Schließlich ergebe sich auch aus dem Anwendungserlass zur AO, dass Auskünfte von Dritten erst dann eingeholt werden dürften, wenn beim Beteiligten eine solche nicht erlangt werden könne. Dies könne durch die Einschaltung der Steuerfahndung vom Beklagten nicht umgangen werden.
Die pauschale Begründung des Beklagten, dass von einer erheblichen Steuerverkürzung durch die Versicherungsvertreter bzw. -makler auszugehen sei, welche auch nach erfolgter Schätzung keine Steuererklärung abgegeben hätten, könne den Auskunftsanspruch nicht begründen, denn diese Fälle seien dem Beklagten bereits bekannt...