Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederholung der mündlichen Steuerberaterprüfung wegen Anwesenheit eines Nichtmitglieds bei der Beratung des Prüfungsausschusses. Unterscheidung zwischen Fachfragen und prüfungsspezifischen Wertung bei der gerichtliche Kontrolle der Steuerberaterprüfung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hat eine Person (hier: stellvertretendes Mitglied des Prüfungsausschusses der Steuerberaterprüfung) beim mündlichen Teil der Steuerberaterprüfung hospitiert, ohne Mitglied des Prüfungsausschusses zu sein, so stellt es einen Formfehler dar, der zur Wiederholung des mündlichen Teils der Steuerberaterprüfung führt, wenn diese Person auch bei der Beratung des Prüfungsausschusses anwesend war.

2. Aus der Regelung in § 193 GVG, wonach an den Urteilsberatungen auch bestimmte zu Ausbildungszwecken dem Gericht zugewiesene Personen vom Vorsitzenden zugelassen werden können, kann nicht abgeleitet werden, dass dies für Zuhörer an Beratungen eines Prüfungsausschusses ebenso gelten müsse (gegen Urteil des FG Münster v. 30.8.2001, 7 K 2090/01).

3. Die Durchführung des Überdenkungsverfahrens gemäß § 29 DVStB kann den Mangel der Anwesenheit eines Nichtmitglieds bei einer Beratung des Prüfungsausschusses der Steuerberaterprüfung nicht heilen.

4. Bei der gerichtlichen Kontrolle von Prüfungsentscheidungen ist zwischen Fachfragen und prüfungsspezifischen Wertungen zu unterscheiden. In Bezug auf Fachfragen hat das Gericht aufgrund substantiierter Einwendungen des Prüflings darüber zu befinden, ob die von einem Prüfer als falsch bewertete Lösung im Gegenteil richtig oder jedenfalls vertretbar ist. Fachfragen sind alle Fragen, die fachwissenschaftlicher Erörterung zugänglich sind. Hingegen ist den Prüfern ein Bewertungsspielraum zuzubilligen, soweit komplexe prüfungsspezifische Bewertungen im Gesamtzusammenhang des Prüfungsverfahrens getroffen werden müssen, welche sich nicht ohne weiteres in einem Gerichtsverfahren einzelner Prüflinge isoliert nachvollziehen lassen; zu solchen prüfungsspezifischen Bewertungen gehören insbesondere die Gewichtung verschiedener Aufgaben untereinander, die Einordnung des Schwierigkeitsgrads der Aufgabenstellung und die Würdigung der Qualität der Prüfungsleistung.

 

Normenkette

StBerG §§ 37, 164a Abs. 1 S. 1; AO § 83; GG Art. 3 Abs. 1; DVStB § 14 Abs. 2 Sätze 1-2, §§ 24, 27, 29; GVG § 175 Abs. 2, § 193

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.09.2012; Aktenzeichen VII R 41/11)

 

Tenor

1. Die Entscheidung über das Nichtbestehen der Steuerberaterprüfung vom 27. Januar 2010 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, erneut für den Kläger eine mündlichen Prüfung zum Steuerberaterexamen durchzuführen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 2/3 und der Beklagte 1/3.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe vor der Vollstreckung leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Bewertung von schriftlichen und mündlichen Prüfungsleistungen für die Steuerberaterprüfung.

Der Kläger nahm an der Steuerberaterprüfung 2009 teil. Mit Bescheid vom 7. Januar 2010 teilte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten dem Kläger mit, dass er in der Aufsichtsarbeit Verfahrensrecht und andere Rechtsgebiete und in der Aufsichtsarbeit Ertragsteuern jeweils die Note 4,50 und in der Aufsichtsarbeit Buchführung und Bilanzwesen die Note 4,00 und damit die Gesamtnote 4,33 erzielt habe. In der Aufsichtsarbeit Verfahrensrecht vergab der Prüfer A 41 von 100 Punkten und die Prüferin B 40 von 100 Punkten. In der Klausur Buchführung und Bilanzwesen vergab der Prüfer C 55 von 100 Punkten und der Prüfer D 55,5 Punkte von 100 Punkten. Im Überdenkungsverfahren hielten die Prüfer im Wesentlichen an ihrer Benotung fest, was der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 15. Juni 2010 mitteilte.

Die mündliche Prüfung fand am 27. Januar 2010 statt. Der Kläger erzielte in der Gesamtbewertung der mündlichen Prüfung die Note 4,71. Die Gesamtnote aus schriftlicher und mündlicher Prüfung ergab 4,52. Bei der Prüfung hospitierte Steuerberater E, der stellvertretendes Mitglied des Prüfungsausschusses der Steuerberaterkammer ist. Dem Kläger wurde in der mündlichen Prüfung mitgeteilt, dass er die Prüfung zum Steuerberater nicht bestanden habe. Der Kläger begehrte auch für die mündliche Prüfung ein Überdenkungsverfahren. Die Prüfer hielten an ihrer Benotung fest, was der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 13. September 2010 mitteilte.

Nach dem Notenschlüssel soll die Note 6 von 0 bis 19,5 Punkten vergeben werden, die Note 5,5 von 20 bis 29,5, die Note 5 von 30 bis 39,5 Punkten, die Note 4,5 von 40 bis 49,5 und die Note 4 von 50 bis 58,5 Punkten. Hinsichtlich der Aufgabenstellungen und Lösungen der Aufsichtsarbeiten wird auf die Prüfungsakte und hinsichtlich des Ablaufes der mündlichen Prüfung auf das Prüfungsprotokoll vom 27. Januar 2010 verwiesen.

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