Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. § 328 SGB 3 ist lex specialis für die Erstattung vorläufiger Leistungen. fehlerhaftes Begründungselement des Erstattungsbescheides bei Angabe der §§ 44 ff SGB 10. Leistungsausschluss mangels Erreichbarkeit. Verlängerung Auslandsaufenthalt ohne Zustimmung. Bescheinigung über Erkrankung. Wegfall des Leistungsausschlusses erst nach Wiederherstellung der Erreichbarkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn sich ein Leistungsträger bei der Rückabwicklung einer vorläufigen Entscheidung fälschlicherweise auf §§ 45 oder 48 SGB 10 oder § 50 SGB 10 beruft, ist dies in der Regel unschädlich, da es sich bei der Angabe der Rechtsgrundlage nur um ein (dann fehlerhaftes) Begründungselement handelt, was sich bei gebundenen Entscheidungen nicht auswirkt.
2. Eine unerlaubte Ortsabwesenheit ist nicht ab dem Tag einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit deswegen unbeachtlich, weil ab diesem Zeitpunkt der Hilfebedürftige nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelbar war. Denn maßgebend für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4a SGB 2 ist der Verstoß gegen die Pflicht zur Erreichbarkeit. Erst wenn die Erreichbarkeit wiederhergestellt ist, entfällt die Ausschlussregelung aus § 7 Abs 4a SGB 2.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 4a, § 40 Abs. 2 Nr. 2; SGB X §§ 45, 48, 50; SGB III § 328 Abs. 2, § 330 Abs. 1 S. 1
Tenor
I. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. November 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen die Ablehnung seines Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren.
Die ARGE Z… L… (im Folgenden: ARGE) bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 9. September 2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15. Oktober 2009, 24. November 2009, 2. Dezember 2009 und 19. Januar 2010 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis 31. März 2010.
Am 21. Januar 2010 beantragte der Kläger die Zustimmung zu seiner Ortsabwesenheit für einen Monat. Die ARGE erteilte die Zustimmung für den Zeitraum vom 25. Januar 2010 bis zum 14. Februar 2010. Unter Aushändigung einer Rechtsfolgenbelehrung wurde der 18. Februar 2010 als neuer Vorsprachetermin festgelegt. Zu diesem Termin erschien der Kläger nicht.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2010 hob die ARGE die Leistungsbewilligung für die Zeit ab 15. Februar 2010 wegen unerlaubter Ortsabwesenheit ganz auf. Nach vorheriger Anhörung mit Schreiben vom 18. Februar 2010 erließ die ARGE am 11. März 2010 einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. In diesem wurde die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 15. Februar 2010 bis zum 28. Februar 2010 ganz aufgehoben und die Erstattung eines Betrages von 268,97 EUR gefordert.
Die in der Verwaltungsakte befindliche Kopie von Seite 10 des Visums trägt den Einreisestempel mit Datum 16. Januar 2010 und den Ausreisestempel mit Datum 18. März 2010.
Mit zwei Schriftsätzen vom 12. April 2010 legte der Klägerbevollmächtigte Widerspruch gegen die Bescheid vom 18. Februar 2010 und 11. März 2010 ein, im ersten Fall mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er trug vor, dass der Kläger den Bescheid vom 18. Februar 2010 am 19. März 2010 erhalten habe. Erst zu diesem Zeitpunkt sei er von seiner Reise nach Vietnam, seinem Herkunftsland, zurückgekehrt. Die Rückkehr habe sich auf Grund einer Erkrankung am Urlaubsort um drei Wochen verzögert. Der Klägerbevollmächtigte legte zwei Kopien von “Bescheinigungen für Krankschreibung„ in vietnamesischer Sprache und zwei Übersetzungen vor. Die Krankschreibungen betreffen die Zeiten vom 19. Februar 2010 bis zum 28. Februar 2010 sowie vom 1. März 2010 bis zum 10. März 2010. Als Krankheitsgrund war “Ausdehnung des Sehnenbandes des linken Fußgelenkes„ angegeben. Ferner legte er einen Krankenschein in vietnamesischer Sprache und eine Übersetzung vor. Unter dem Untersuchungsdatum 15. März 2010 sind Hustenanfall und leichtes Fieber als klinische Symptome und Entzündung des oberen Atemweges als Diagnose festgestellt.
Im Schriftsatz vom 15. Mai 2010 machte der Klägerbevollmächtigte unter anderem geltend, dass es für die Kürzung der Ortsabwesenheit von den gewünschten vier Wochen auf 21 Tage ganz offensichtlich keine zwingenden Gründe gebe. Für den Vorsprachetermin am 18. Februar 2010 seien keine Gründe genannt. Es müsse vermutet werden, dass das Ermessen nicht richtig ausgeübt worden sei und eine gegebenenfalls sogar schikanös einzustufende Verfahrensweise zu sehen sei. Der Kläger sei vor Ort erkrankt. Da in Vietnam die Behörden und medizinischen Einrichtungen nicht wie in Deutschland funktionieren würden, sei der Kläger zunächst gezwungen gewesen, sich von Familienangehörigen pflegen zu lassen. Diese hätten auch versucht, ärztliche Hilfe zu organisieren und Geld zur Bezahlung...