Rz. 9
Die Regelung des Abs. 2 ergänzt mit Wirkung zum 1.10.2022 die Übergangsregelung des Abs. 1. Gegenstand der weiteren Übergangsregelung in Abs. 2 ist die (weitere) Versicherungspflicht zur Arbeitsförderung der Personen, die durch die neuen Regelungen zur geringfügigen Beschäftigung ab 1.10.2022 aus dem versicherungspflichtigen Bereich in den versicherungsfreien Bereich "rutschen".
Rz. 10
Stichtag für die Übergangsregelung ist zunächst der 30.9.2022. Zum betroffenen Personenkreis gehören versicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer – auch in Privathaushalten (§ 8a SGB IV) – wegen eines nicht mehr regelmäßigen Arbeitsentgelts von höchstens 450,00 EUR monatlich, also Beschäftigte mit einem Arbeitsentgelt von 450,01 EUR monatlich, die durch die Neuregelungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigungen ab 1.10.2022 versicherungsfrei zur Arbeitslosenversicherung werden, weil das regelmäßige monatliche Arbeitsentgelt 520,00 EUR monatlich nicht übersteigt. Bei gleichbleibenden Verhältnissen, was den Arbeitsentgeltbereich von 450,01 EUR bis 520,00 EUR monatlich angeht, reicht die Übergangsregelung bis zum 31.12.2023, beträgt also längstens 15 Monate (v. 1.10.2022 bis 31.12.2023). Ab 1.1.2024 ist die Entgeltgrenze für geringfügige Beschäftigungen erneut angestiegen.
Rz. 11
Die versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer bleiben über den 30.9.2022 aufgrund des Abs. 2 entgegen dem neu in § 8 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit Abs. 1a SGB IV definierten geringfügigen Bereich versicherungspflichtig. Damit wird der Bestand der Versicherungspflicht geschützt. § 8 Abs. 1a definiert die neue Geringfügigkeitsgrenze ab 1.10.2022 dynamische Obergrenze für eine geringfügig entlohnte Beschäftigung. Die maßgebenden Faktoren sind eine Wochenarbeitszeit von 10 Stunden und die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Die Geringfügigkeitsgrenze ist das im Rahmen einer geringfügig entlohnten Beschäftigung höchstens zulässige Arbeitsentgelt im Monat. Bei einem Mindestlohn von 12,00 EUR je Stunde (ab 1.10.2022) ergibt sich die Geringfügigkeitsgrenze durch Multiplikation mit 130 (das sind 10 Wochenstunden mal 13 Wochen = 3 Monate) und Division durch 3 (Monate), gerundet auf volle EUR = 520,00 EUR monatlich. Eine wöchentliche Arbeitszeit von 10 Stunden entspricht einer Arbeitszeit von 43 1/3 Stunden im Monat. Die Geringfügigkeitsgrenze erhöht sich also immer dann, wenn der Mindestlohn erhöht wird. Damit können versicherungsfrei beschäftigte Arbeitnehmer bei einer Erhöhung des Mindestlohns versicherungsfrei bleiben, wenn sich ihr Arbeitsentgelt entsprechend verändert, es bedarf keiner Arbeitszeitverkürzung mehr. Nachdem sich die Geringfügigkeitsgrenze in der Zukunft nicht mehr unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, wird sie vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Bundesanzeiger bekannt gegeben (vgl. BT-Drs. 20/1408).
Rz. 12
Die Weiterentwicklung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1.10.2022 war aus Sicht der Bundesregierung sozialstaatlich geboten. Mit der einmaligen gesetzlichen Erhöhung des Mindestlohns auf einen Bruttostundenlohn von 12,00 EUR wurde das Instrument der Gesetzesbegründung zufolge dahingehend weiterentwickelt, dass künftig der Aspekt der gesellschaftlichen Teilhabe bei der Mindestlohnhöhe stärker Berücksichtigung findet. Gleichzeitig soll ein Anreiz zur Aufnahme von Erwerbstätigkeit gesetzt und die Stabilität sozialer Sicherungssysteme gestärkt werden. Damit steht die Erhöhung des Mindestlohns demnach zugleich im Einklang mit dem europäischen Leitbild einer inklusiven, partizipativen und nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung wie es unter anderem in der Initiative für einen Europäischen Mindestlohnrahmen sowie der Europäischen Säule sozialer Rechte formuliert wird.
Rz. 13
Weitere Anpassungen der Höhe des Mindestlohns hängen nach dem 30.9.2022 wieder vom Votum der Mindestlohnkommission ab. Ihre nächste Anpassungsentscheidung wurde zum 30.6.2023 zur Anpassung ab 1.1.2024 getroffen (12,41 EUR je Stunde). Damit wurde zeitnah die Entscheidung über die Höhe des Mindestlohns wieder der Mindestlohnkommission überantwortet und der herausgehobenen Stellung der Sozialpartner bei der Lohnfestsetzung entsprochen (vgl. BT-Drs. 20/1408). Der Mindestlohnkommission obliegt es den Gesetzesmaterialien zufolge, dass auch künftig ein angemessener Mindestschutz der Arbeitnehmer sichergestellt bleibt.
Rz. 14
Den Sachverhalt unvorhersehbarer Überschreitungen der Geringfügigkeitsgrenze regelt nunmehr § 8 Abs. 1b SGB IV (vgl. die Kommentierung dort).
Rz. 15
Sinkt das Arbeitsentgelt in der Übergangszeit unter 450,01 EUR monatlich, endet die übergangsweise noch bestehende Versicherungspflicht zur Arbeitsförderung (Abs. 2 Satz 1 letzter HS).
Rz. 16
Am 30.9.2022 versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmern mit einem Arbeitsentgelt von nicht mehr als 520,00 EUR monatlich räumt Abs. 2 die Möglichkeit ein, ab dem 1.10.2022 Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit der Beschäftigung anzunehmen. Dazu bedarf es eines Antrages, der auf den 1.10.2022 zurückwirkt, ...