Rz. 9
Abs. 1 bestimmt die Gewerkschaften mit ihren Verbänden und die Arbeitgeberverbände mit ihren Vereinigungen zu den vorschlagsberechtigten Stellen für die Mitglieder der Gruppen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber. Damit wird den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden per Gesetz die Aufgabe zugeschrieben, unabhängig von ihren Mitgliedern die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Beitragszahler in einem abstrakten Sinne umfassend wahrzunehmen. Die Interessenvertretung für die sich im Grundsatz gegenüberstehenden Arbeitnehmer und Arbeitgeber kann nach Sinn und Zweck nur für eine Seite wahrgenommen werden.
Rz. 9a
Dies schließt von vornherein aus, dass eine vorschlagsberechtigte Stelle eine Einrichtung sein kann, die sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber vertritt. Bei den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden handelt es sich um selbständige Vereinigungen der Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber, die von der jeweiligen Gegenseite unabhängig agieren können, die Interessen ihrer Mitglieder vertreten und Tarifverträge schließen.
Dies bedeutet ferner, dass eine vorschlagsberechtigte Stelle tariffähig i. S. d. TVG ist. Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern (§ 2 Abs. 1 TVG). Zusammenschlüsse von Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern (Spitzenorganisationen) können im Namen der ihnen angeschlossenen Verbände Tarifverträge abschließen, wenn sie eine entsprechende Vollmacht haben (§ 2 Abs. 2 TVG).
Darüber hinaus können nach § 2 Abs. 3 TVG Spitzenorganisationen selbst Parteien eines Tarifvertrags sein, wenn der Abschluss von Tarifverträgen zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehört.
Rz. 10
Der in der Literatur vertretenen Auffassung, dass jedenfalls Gewerkschaften zum Arbeitskampf bereit sein müssen und Arbeitgeberverbände eine sozialpolitische Orientierung aufweisen müssen, um vorschlagsberechtigte Stelle sein zu können, ist zuzustimmen.
Rz. 11
Das Gesetz verlangt von den vorschlagsberechtigten Stellen für Arbeitnehmer- bzw. Arbeitgebervertreter ferner, dass sie Tarifverträge abgeschlossen haben. Das hat die vorschlagsberechtigte Stelle im Zweifel darzulegen. Die Voraussetzung verfolgt den Zweck, als vorschlagsberechtigte Stellen nur Interessenvertretungen zuzulassen, die tatsächlich relevanten Einfluss auf die Arbeitsbedingungen nehmen, insbesondere auf die Höhe des Lohns. Das schließt nicht aus, dass eine vorschlagsberechtigte Stelle einen von einer anderen Stelle abgeschlossenen Tarifvertrag übernimmt. Allerdings muss die Interessenvertretung in solchen Situationen eigenständiger Verhandlungspartner sein. Vorschlagsberechtigte Stelle kann keine Gewerkschaft sein, die zwar Tarifverträge abgeschlossen hat, diese aber nicht wirksam sind, weil die Gewerkschaft insoweit nicht tariffähig ist. Derartige Entscheidungen werden in letzter Instanz vom BAG getroffen. So wurde der CGZP die Tariffähigkeit abgesprochen.
Rz. 12
Abs. 1 setzt weiterhin voraus, dass eine vorschlagsberechtigte Stelle für die Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber von wesentlicher Bedeutung ist. Damit stellt der Gesetzgeber sicher, dass keine Randbewegungen oder Splittergruppen, die Arbeitnehmer oder Arbeitgeber tatsächlich nicht repräsentativ vertreten, Mitglieder für die Selbstverwaltung vorschlagen dürfen. Ob wesentliche Bedeutung gegeben ist, kann von den Sozialgerichten als unbestimmter Rechtsbegriff in vollem Umfang nachgeprüft werden.
Rz. 13
Wesentliche Bedeutung wird zunächst anhand der tatsächlichen Einflussnahme und an den Möglichkeiten der Einflussnahme zu messen sein. Dabei kommt es z. B. im Verhältnis zu anderen Interessenvertretungen auf die Anzahl der vertretenen Mitglieder oder die Dominanz der Branche im Bezirk an.
Rz. 14
Hinsichtlich der Verwaltungsausschüsse wird die Vorschlagsberechtigung auf die für den relevanten Bezirk der Agentur für Arbeit, für die ein Verwaltungsausschuss gebildet werden soll, zuständigen Vertreter der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie ihrer Verbände und Vereinigungen begrenzt. Damit wird gewährleistet, dass regionale Aspekte bei der Bildung des Verwaltungsausschusses nicht vernachlässigt werden.
Rz. 15
Abs. 1 regelt die Vorschlagsberechtigung für die Selbstverwaltung abschließend. Nimmt eine berechtigte Stelle ihr Recht nicht wahr, hat es insoweit sein Bewenden. Dann kann eine andere Stelle vorschlagsberechtigt sein. Bei der Prüfung der wesentlichen Bedeutung ist die Stelle, die ihr Vorschlagsrecht nicht wahrgenommen hat, außer Betracht zu lassen. Das Gesetz enthält keine Verpflichtung, eine Vorschlagsberechtigung wahrzunehmen.
Rz. 16
Mehrere Stellen können vorschlagsberechtigt sein. Kommt es danach zu einem Überhang an vorgeschlagenen Mitgliedern und Stellvertretern, sind die Sitze anteilmäßig unter billiger Berücksichtigung der Minderheiten zu verteilen (vgl. § 377 Abs. 2 Satz 3).