Rz. 3
Ausgangsüberlegung für das Qualifizierungschancengesetz zum 1.1.2019 waren die neuen Herausforderungen, vor die der digitale und demografische Strukturwandel das (erfolgreiche) deutsche Wirtschafts- und Sozialmodell stellt. Einerseits kann der höchste Beschäftigungsstand seit der Wiedervereinigung, andererseits eine anhaltend hohe Nachfrage insbesondere nach qualifizierten Arbeitskräften festgestellt werden. Der Arbeitsmarkt von Arbeitnehmern mit einem qualifizierten Berufsabschluss entwickelt sich der Bewertung der Bundesregierung zufolge in Richtung Vollbeschäftigung. Diese gute Entwicklung darf aber demnach nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland mit großem Tempo verändert. Die demografische Entwicklung führt in einigen Berufen und Regionen bereits zu Fachkräfteengpässen. Dieser Mangel erfasst zwischenzeitlich auch anerkannte Ausbildungsberufe und nicht mehr nur akademische Berufe. Es ist zu erwarten, dass der demografische und der technologische Wandel die wirtschaftliche und strukturelle Veränderung des Arbeitsmarktes weiter beschleunigen werden und verstärkte Anpassungsprozesse bei Arbeitnehmern in Bezug auf die berufliche Qualifikation einfordern werden. Dies betrifft, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, die Arbeitnehmer unabhängig von Qualifikation, Beschäftigungsbranche und Betriebsgröße. Für die Beschäftigten und die wirtschaftliche und technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands ist es der Gesetzesbegründung zufolge von großer Bedeutung, dass dieser Strukturwandel gelingt und die damit verbundenen neuen und veränderten Beschäftigungschancen genutzt werden.
Rz. 4
Wenn sich Berufe langsamer ändern als die potenziellen Einsatzmöglichkeiten neuer Technologien, entscheidet den Gesetzesmaterialien zufolge die Qualifikation der Arbeitnehmer in immer stärkerem Maße über Arbeitsmarkt- und Beschäftigungschancen. Nach wie vor haben Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose trotz der guten Beschäftigungsentwicklung Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Bundesregierung hat sich vor diesem Hintergrund zum Ziel gesetzt, die Weiterbildungsförderung und die Beratung zu verstärken sowie die Förderregelungen nach dem SGB II und dem SGB III aktuellen und künftigen Herausforderungen anzupassen.
Zur Arbeitslosenversicherung führt die Gesetzesbegründung aus, dass sich mit dem Strukturwandel am Arbeitsmarkt auch neue Schutzbedarfe für Arbeitnehmer ergeben. Von ihnen wird demnach zunehmend eine hohe Flexibilität verlangt. Das betrifft insbesondere Personen, die häufig oder wiederkehrend nur für eine kurze Dauer beschäftigt sind. Sie müssen sich deshalb auf den Versicherungsschutz in der Arbeitslosenversicherung verlassen können. Das bezieht sich nicht direkt auf die berufliche Weiterbildung bei bestehenden Arbeitsverhältnissen, steht jedoch in Zusammenhang mit der Motivlage des Gesetzgebers und ist ebenfalls im Qualifizierungschancengesetz enthalten.
Eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der Ziele des Qualifizierungschancengesetzes fällt der Bundesagentur für Arbeit zu. Dazu gehen die Gesetzesmaterialien allerdings nur auf die Finanzierung der geplanten Maßnahmen ein. Zum Ende des Jahres 2018 erreicht die Rücklage der Bundesagentur für Arbeit nach deren mittelfristiger Finanzeinschätzung vom April 2018 eine Höhe von rund 22,5 Mrd. EUR. Diese Rücklage entspricht rd. 0,65 % des Bruttoinlandsprodukts und ist notwendig, um nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) die Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit in einer Wirtschaftskrise ohne Inanspruchnahme eines Bundesdarlehens zu decken. Diese Rücklage ist zwar bis zum Frühjahr 2020 auf fast 26 Mrd. EUR weiter angewachsen, wird jedoch von der Gegensteuerung zu den Folgen der Coronakrise verbraucht werden.
Rz. 5
Gleichzeitig bleibt aber nach den Gesetzesmaterialien ein Spielraum, um die notwendigen Investitionen in die Qualifizierung und die Ausweitung des Arbeitslosenversicherungsschutzes ohne Rückgriff auf diese Rücklage zu finanzieren und den Beitragssatz zur Arbeitsförderung zu senken. Gleichzeitig können dadurch auch Beschäftigte und Arbeitgeber entlastet werden. Die Bundesregierung sieht eine zukunftsgerechte Antwort auf die Herausforderungen des digitalen und demografischen Wandels in einer Arbeitsmarktpolitik, die in die Qualifizierung von Arbeitnehmern und in die Verbesserung des Schutzes der Arbeitslosenversicherung investiert. Auch liegt es demnach im Interesse der Fachkräftesicherung, Qualifikationen durch Fortbildungen zu erneuern und berufliche Aufstiege oder ggf. auch Umstiege zu ermöglichen. Vorsorgende und befähigende Arbeitsmarktpolitik mit Investitionen in Weiterbildung und Qualifizierung sowie ein guter sozialer Schutz bei Arbeitslosigkeit werden demnach zum Dreh- und Angelpunkt im Wandel. Der Beitragssatz ist schließlich zum 1.1.2020 noch einmal vorübergehend um 0,1 Prozentpunkte auf 2,4 % der Beitragsbemessungsgrundlage abgesenkt worden.
Zur weiteren Motivl...